Presse aktuell 2013


BZ vom 6.5.13

Aufforderung zum Selberdenken

Biograph Franz Littmann erhält den Hebeldank / "Auch im 21. Jahrhundert ein Vorbild" / Schatzkästlein in neuer Form

Von unserem Mitarbeiter Thomas Loisl Mink

LÖRRACH. Johann Peter Hebels Gedicht "Vergänglichkeit" und seine Vertonung durch Dieter Schnebel standen im Mittelpunkt des Schatzkästleins am gestrigen Hebelsonntag. Den diesjährigen Hebeldank verlieh der Hebelbund Lörrach an Franz Littmann, der 2008 eine bedeutende Biografie über Hebel veröffentlicht hatte.

Professor Dieter Schnebel hat Theologie, Philosophie und Musikwissenschaft studiert und lebt als Komponist in Berlin, wie Hans-J. Schmidt, Präsident des Hebelbundes, in seiner Einführung berichtete. Schnebel selbst bezeichnete sich als einen "Komponisten der musikalischen Avantgarde" . Er hat zahlreiche Preise bekommen, unter anderem 1999 den Preis der Europäischen Kirchenmusik. Geboren 1930 in Lahr und aufgewachsen im alemannischen Dialekt stieß er jedoch erst spät auf Hebels großes Dialektgedicht "Vergänglichkeit" , wie er den Besuchern des Schatzkästleins verriet. Und das ist seiner Schwiegermutter, der Dichterin Marie-Luise Kaschnitz, zu verdanken, die 1970 den Johann-Peter-Hebel-Preis des Landes Baden-Württemberg erhielt und aus diesem Anlass über dieses Gedicht sprach. "Ich war zutiefst beeindruckt, als ich dieses Gedicht hörte" , sagte Schnebel. Er bezeichnete es als Apokalypse in vier Teilen. Im ersten Teil beschreibt Hebel das Vergehen der eigenen Heimat und des eigenen Dorfes, im zweiten Teil das Vergehen der Stadt Basel. Im dritten Teil wird die Vergänglichkeit der ganzen Welt thematisiert, und der vierte Teil beschreibt den Blick von oben auf die zerstörte Erde. Die eigene Biografie Hebels sei in dieses Gedicht eingeflossen, denn die Stelle unterhalb der Burg Rötteln, wo im Gedicht eine Person stirbt, ist der Ort, an dem Hebels Mutter starb.

Sogleich habe er sich an die Komposition gemacht, berichtete Dieter Schnebel weiter. Das Werk stellte er sich als Theaterstück vor, das auf einem stehenden Wagen spielt, der erst am Ende wegfährt. In einem Vorspiel wird der Lebenslauf Hebels berichtet, es gibt Zwischenspiele mit meditativem Charakter, und zudem hat der Komponist Hebels Geschichten "Kannitverstan" , "Der Wasserträger" und "Unverhofftes Wiedersehen" in das Werk eingefügt. Wesentliche Teile aus der Komposition spielte Schnebel den etwa 80 Besuchern in der evangelischen Stadtkirche vor.

Der zweite Teil des Schatzkästleins galt der Verleihung des Hebeldanks. Damit wurde in diesem Jahr Dr. Franz Littmann aus Pforzheim ausgezeichnet. Nachdem 1965 eine Biografie über Hebel erschienen war, gab es jahrzehntelang keine neue, berichtete Hans-J. Schmidt. Erst im Vorfeld des Hebeljahres 2010 legte Littmann im Jahr 2008 eine neue Biografie vor. Sie trägt den Untertitel "Humanität und Lebensklugheit für jedermann" , worauf Schmidt besonders abhob. "Wir brauchen eine solche Biografie, weil wir die Lebenskunst der Integration zu verlernen drohen" , sagte er. Dass alles mit allem zusammenhängt, im politischen, kulturellen, gesellschaftlichen und privaten Leben, das vermittle Hebel — und diese integrative Sicht drohe verloren zu gehen. Schmidt hatte 2009 eine lobende Besprechung über Littmanns Biografie geschrieben, zu der er nach wie vor stehe, betonte Schmidt. Auch Littmann selbst hob darauf ab, dass Hebels Weisheiten und Lebenslehren jedermann zugänglich sind. Einfach, ruhig und zufrieden zu leben, das könne man bei Hebel lernen, und Hebel komme nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern bringe die Menschen dazu, selbst nachzudenken. "Die Aufforderung zum Selberdenken zieht sich wie ein roter Faden durch Hebels Werk und macht ihn auch im 21. Jahrhundert noch zu einem Vorbild" , stellte Littmann fest.