Presse aktuell 2012


Die Oberbadische vom 30.10.12

Hebels „doppeltes“ Weltverständnis

Dichter-Hommage aus Sicht eines Philosophen im Mittelpunkt des Hertinger Hebelschoppens

Bad Bellingen-Hertingen (bn). An Johann Peter Hebel sind immer noch theologische, literarische oder philosophische Facetten zu entdecken, auf die selbst kundige Kenner des alemannischen Dichterfürsten, Karlsruher Prälaten und Kalendergeschichten-Erzählers bisher noch nicht gekommen sind.

Beim Hertinger "Hebelschoppen" am Sonntag hielt der promovierte Pforzheimer Philosoph Dr. Franz Littmann bei der obligaten Feier in der Kirche den Festvortrag unter dem Leitgedanken "Reden ist Silber " Schweigen Gold" , wobei der Untertitel "Mit Hebel ins Internetzeitalter" nur marginal zur Sprache kam.

Umso mehr beeindruckte Littmanns Definition von Hebels "doppeltem" Weltverständnis im Sinne je einer Welt "zur linken und zu rechten Hand", wie sie unter anderen in der eingangs vorgelesenen seltsamen Gespenstergeschichte aus den "Schatzkästlein-Erzählungen" angedeutet wird. Die Welt zur Linken war, so der Redner, für Hebel das von Unfrieden und gesellschaftlichen Zwängen unter Regie einer strengen Obrigkeit bestimmte Alltagsdasein. Die zur Rechten hingegen die erstrebenswerte und von christlicher Ethik geprägte Idealwelt eines verantwortlichen Lebens in Frieden und Eintracht.

Littmann verdeutlichte dabei, dass der Pragmatiker Hebel seiner Obrigkeit schuldigsten Respekt zollen musste, zugleich aber auch nach dem biblischen Grundsatz, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen, zu handeln bemüht war. Die ihm daraus erwachsenden Konflikte ließen sich seinerzeit oft nur schweigend hinnehmen. Genauso handelte auch der vornehme Herr in besagter Geschichte bei seiner Konfrontation mit den als Gespenster getarnten Falschmünzern, als er schwor, sie nicht zu verraten und sich auch an seinen Eid hielt.

Musikalisch umrahmt wurde die Rede mit Liedvorträgen des Männergesangvereins Hertingen (Leitung: Günter Meyer) und Orgelspiel von Siegfried Bürgelin.

Hebelvogt Karl Mannhardt hob in Begrüßung und Schlusswort auf die Bedeutung dieses Brauchtums-Festtags ab. Einen Prolog über Hebels vermutliche Schockreaktion, wenn er heute nach Weil am Rhein käme, fasste Mundartdichter Werner Richter in originelle Reime, und Pfarrer Michael Donner lud abschließend zu Dankgebet vor dem gemeinsam gesprochenen alemannischen "Vadderunser" ein.

Der Feier in der Kirche schloss sich ein gemütliches Beisammensein im Bürgersaal an, wo erneut der Gesangverein auftrat und auch bewirtete. Mit einer Gedenkrede und Gedichtrezitationen würdigte Liedermacher Frank Dietsche seinen 1981 verstorbenen Lehrer- und Dichterkollegen Manfred Marquart, dessen ebenso wortgewandte wie umweltkritische Lyrik unverändert aktuell ist.

Bei den anschließenden freien Lyrik- und Prosabeiträgen im Geiste Hebels kam auch der Lörracher Bäckermeister und Alt-Bundestags-Abgeordnete Wilhelm Jung (CDU) zu Wort mit der auswendig (!) vorgetragenen Hebelgeschichte "Kannitverstan".