Presse aktuell 2012


BZ vom 13.10.2012

Kafka und Graf von Hebel beeinflusst

Hebel-Biograf Bernhard Viel zu Gast im Dreiländermuseum

LÖRRACH. Johann Peter Hebel ist den meisten Einheimischen zumindest als Name bekannt, immerhin gibt es in Lörrach ein Hebelgymnasium, eine Hebelschule, einen Hebelpark und darin das Hebeldenkmal. Doch oft wird er als Blümchen umrankter Heimatdichter missverstanden. Aspekte eines komplexeren Hebelbildes konnte man beim Vortrag des Hebelbiografen und promovierten Literaturwissenschaftlers Bernhard Viel im Dreiländermuseum, bei einer Veranstaltung des Hebelbundes kennen lernen. Hebels Werke fanden sowohl zu Lebzeiten des Dichters, bis in die Moderne Anerkennung. Zu den Rezipienten gehörten unter anderen Goethe, die Gebrüder Grimm, Franz Kafka und Theodor Heuss.

Bernhard Viel, der Autor der im Hebeljahr 2010 herausgegebenen Biografie unter dem Titel "Das Glück der Vergänglichkeit" stellte in seinem Vortrag den bedeutenden Einfluss von Hebels Wirken auf die Literaten der Folgezeit in den Mittelpunkt. Der 1760 in Basel geborene evangelische Theologe Johann Peter Hebel wirkte auch als Pädagoge im Lörracher Pädagogium, dem heutigen Dreiländermuseum. Seine bekannten Kalendergeschichten, so stellte Viel dar, seien die Vorläufer der modernen Kurzgeschichte. Wegen ihrer Realitätsbezogenheit und ihrer Tiefsinnigkeit seien sie gleichermaßen gerichtet, an den "einfachen Mann" wie auch an den Gebildeten mit humanistischem Hintergrund. Durchaus konnten Hebels Geschichten auch dunkel, makaber und scheinbar absurd sein, wie Viel eingangs seiner Biografie schildert. Dort zitiert er eine schauerliche Geschichte Hebels, in der ein Bauernpaar nicht nur einen reichen Metzger tötet, sondern sogar das eigene Kind auf grausame Weise, das Zeuge der Untat war. Und damit nicht genug, der Metzgerhund entdeckt die Leichen und klärt so die Tat auf. So kommt es, wie im Märchen, zur Bestrafung des Bösen. Hebel wirkt immer auch moralisch, wesentlich aber auch, so der Referent, sei Hebels Auftrag als Aufklärer. Der Mensch soll Erkenntnis gewinnen über das menschliche Handeln und über sich selbst.

Zwei Schriftsteller, die von Hebel beeinflusst waren, hebt Viel in seinem Vortrag heraus: Franz Kafka und Oskar Maria Graf. Kafka las seiner Freundin Dora Diamant aus den Kalendergeschichten vor und war fasziniert vom Phänomen des Paradoxen bei Hebel. In Kafkas Werken werden die Geschichten oft bedrohlich, düster und absurd.

Das Thema der unverbrüchliche Liebe findet sich in Hebels bekannter Kalendergeschichte "Das unverhoffte Wiedersehen" , in der in der Stadt Falun in Schweden ein junges Paar heiraten will, kurz vor der Hochzeit aber verunglückt der Bräutigam, der Bergmann ist. 50 Jahre später wird er im Bergwerk gefunden, die Leiche vom Kupfervitriol konserviert, aussehend wie zu Zeiten der Jugend. Nur die nun alt gewordene Braut lebt noch, erkennt ihn und seine Beerdigung wird von der treu gebliebenen Frau als Hochzeit zelebriert. Sowohl Hoffnung und Auferstehung werden in dieser Geschichte von Hebel angesprochen, gleichzeitig aber auch die Zweifel, wie die Ehe ohne dieses Unglück verlaufen wäre Ist der Bräutigam gar rechtzeitig gestorben? Ist die konservierte Leiche ein Trugbild? Viele Jahre später greift der Schriftsteller Oskar Maria Graf in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts das Thema dieser Geschichte in einer ebenso skurrilen Geschichte auf. Er schildert, wie eine junge Bäuerin ihren geliebten Ehemann rasiert und ihn im Übermut "aus Versehen" in die Gurgel schneidet. Seither ist er stumm. Die Ehe aber verläuft ungewöhnlich glücklich. Auch hier scheint ein Unglück zu einer idealen Partnerschaft geführt zu haben.

"Hebels Geschichten," so das Fazit von Bernhard Viel, "enthalten Werte, die von jeder Generation wieder neu interpretiert werden können." Es lohnt sich also, Hebel wieder einmal in die Hand zu nehmen und seinen tiefsinnigen Geschichten auf die Spur zu kommen.

Gabriele Reinhardt