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Presse aktuell 2012
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BZ vom 11.5.12
Vertreibung aus dem Paradies
Der Freiburger Schriftsteller Karl-Heinz Ott erhielt in Hausen
den Johann-Peter-Hebel-Preis
Man würde es Johann Peter Hebel ja gönnen, vom
Himmel (wo er als protestantischer Pfarrer und
großer Menschenfreund ganz gewiss sitzt) einmal
nur auf die Erde zurückzukommen, um das zu
seinen Ehren veranstaltete Hebel-Fest in Hausen
zu erleben. Man kann sich sicher sein, dass der
Dichter höchlich beglückt wäre ob der
andauernden Lebendigkeit seines geistlichen und
poetischen Wirkens in der Wiesentäler Gemeinde.
Wo sonst noch unter Gottes weitem Horizont gäbe
es ein ganzes Dorf, das sich am Geburtstag
seines größten Schriftstellersohnes auf die
Beine machte, um ihm zu Ehren in Festtagstracht
an seinem Haus vorbeizuziehen, in der Festhalle
mit Gesängen und Rezitationen an ihn zu erinnern
— und in all dem volksnahen Getümmel auch noch
einen bemerkenswerten, hochgeachteten
Literaturpreis zu verleihen— in diesem Jahr an
den in Freiburg lebenden Schriftsteller
Karl-Heinz Ott?
Nein, Hausen hat in dieser Beziehung ein
Alleinstellungsmerkmal — und Bürgermeister
Martin Bühler allen Grund, dieses mit
gebührendem lokalpatriotischem Stolz zu
zelebrieren. Und der Preisträger fand in seiner
emphatischen, ja enthusiastischen Dankrede genau
den Ton, der in die Hausener Festhalle passte.
Die acht Seiten, die er angeblich vorbereitet
hatte, blieben in der Tasche.
Karl-Heinz Ott braucht eine solche schriftliche
Stütze auch nicht, wenn er von seinem
Deutschlehrer schwärmt, der nicht über Literatur
geredet, sondern in der Literatur gelebt hat,
wenn er von seiner Kindheit auf dem Dorf
erzählt, in einem Haus ohne Vater und ohne
Bücher bis auf die Bibel, wenn er die Langeweile
auf dem Lande preist, weil sie einen zum Lesen
bringt, wenn er dann sprudelnd wie der "flinke
Oberrhein" (Laudator Alexander Honold) auf Hebel
zu sprechen kommt, dem sich das Dorf zur Welt
geweitet hat und zur Unendlichkeit, die es gibt,
ob man gläubig ist oder nicht, und wenn er
schließlich einen Lobgesang anstimmt auf die
Literatur, die das Leben zum Singen und
Schwingen bringt, selbst wenn es grässlich und
hässlich und gemein ist. So ist das mit der
Kunst und dem Leben, und wer will da noch den
Groll gegen die bürgerliche Kultur verstehen,
den Ott in der heutigen Gesellschaft wahrnimmt,
die sich lieber mit Pop und Sport vergnügt, als
in einem Buch die Welt zu entdecken. Seit 40
Jahren habe er sich, sagte Ott, seiner Kindheit
nicht mehr so nah gefühlt wie an diesem
Vormittag in Hausen: Ein schöneres Kompliment an
den Gastgeber lässt sich kaum denken.
Der in Basel lehrende Literaturwissenschaftler
Alexander Honold, Mitglied der Jury des
Hebel-Preises, hatte zuvor in seier eleganten
und anekdotischen Laudatio Otts Werk unter das
Motiv der Vertreibung aus dem Paradies gestellt
— was aber, "wenn es nur Vertreibung gibt, aber
kein Paradies?" In Otts erstem Roman kehrt ein
Ich-Erzähler zurück zur sterbenden Mutter, doch
die Reise in die Heimat ist angesichts des
"fatalen Duos Mutter-Sohn" beladen mit
Schuldgefühlen. Rousseau, dem Ott seinen
jüngsten Roman "Wintzenried" gewidmet hat, habe,
so Honold, den Verlust des Paradieses zum
Markenzeichen gemacht. Heimat sei für den Autor
Karl-Heinz Ott indes kein regionaler
Rückzugswinkel, sondern verworrener Schauplatz
all dessen, was Menschen zustoße, wenn sie ihr
alltägliches Leben zu leben versuchten. Vom
"leidenschaftlichen Erzähler" Ott wünschte sich
Honold einen "Hebel für hier und heute" .
Wohlan!
Bettina Schulte
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