Presse aktuell 2012


MT vom 8.5.2012

Die Lust an Rousseaus Wut

Hebelpreisträger Karl-Heinz Ott über seine Bewunderung für Hebel und seinen Roman über Rousseau

Hausen. Der Schriftsteller Karl-Heinz Ott erhält am Donnerstag, 10. Mai, den mit 10 000 Euro dotierten Hebelpreis des Landes Baden-Württemberg in Hausen. Im Gespräch mit Eva Klassen erzählt er, ob Hebel für Schriftsteller noch ein Vorbild sein kann und wieso sein Roman über Rousseau „Wintzenried“ heißt.

Herr Ott, wann haben sie zuletzt Hebel gelesen?

Gestern.

Tatsächlich? Und was?

Ich sitze gerade an meiner Dankesrede und habe gestern einen Brief nachgelesen, in dem Hebel bedauert, dass wir nicht mehr die griechischen Götter haben. Für einen Dichter sei das eine viel buntere Welt als der christlich-jüdische Gott, von dem man sich kein Bild machen darf - als Protestant sowieso nicht, und Hebel ist ja Protestant.

Was meinen Sie, hat er mit diesem Bedauern Recht?

Naja, die Katholiken sehen das anders. Die sagen: Bilder sind erlaubt, weil Jesus auf die Welt gekommen ist und Gott sich in ihm vermenschlicht hat. Aber natürlich hat Hebel Recht: Die griechische Götterwelt bietet der Malerei und der Dichtung eine herrlichere Gesellschaft.

Ist Hebel mit solchen theoretischen Schriften und mit seinen Geschichten ein Vorbild für Sie als Schriftsteller?

Das kann ich nicht ernsthaft bejahen. Man kann Hebel nicht nachmachen. Man kann ihn bewundern. Hebel hat an jedem Satz gefeilt. Woran sich auch zeigt, dass es letztlich weniger auf den Plot ankommt als darauf, wie etwas erzählt wird.

Aber wenn man ihn schon nicht nachahmen kann, so kann man doch sicherlich viel von ihm lernen.

Man kann von ihm eine Menge lernen, vor allem eine gewisse Ökonomie des Stils und der Form. Wobei es natürlich beim Schreiben von Romanen ganz andere Formen der Ökonomie gibt, die viel ausufernder sein müssen.

Stichwort Romane: In Hausen werden Sie aus Ihrem neu erschienenen Roman „Wintzenried“ lesen. Der Roman handelt von Rousseau. Wie kam es zu dem irreführenden Titel?

Wintzenried hat im Leben Rousseaus zwar eine quantitativ gesehen nur kleine Rolle gespielt, aber doch eine entscheidende. Wintzenried kommt in meinem Roman auch nur dreimal kurz vor. Aber tatsächlich schrieb Rousseau in seiner letzten Schrift sinngemäß: Wäre Wintzenried nicht gewesen, alles wäre gut gewesen. Denn Wintzenried hat Rousseau gewissermaßen aus dem Bett seiner Mama vertrieben, seiner13Jahre älteren Ersatz- Mama, Beschützerin und Geliebten.

Der Roman „Wintzenried“ zeichnet sich durch knappe Sätze aus, an denen sich Rousseau von Wutanfall zu Wutanfall zu hangeln scheint. Es wirkt, als hätte der Erzähler Spaß daran, Rousseau immer wieder in emotionale Abgründe zu schicken. Ist das so?

Ichmusste da nichts erfinden.

Aber die Elemente werden ja auf eine ganz bestimmte Art und Weise schriftstellerisch verpackt.

Natürlich, daran hatte ich auch meine Lust. Aber mein Blick auf Rousseau ist nicht freier Fantasie entsprungen. Ich habe ausgeschmückt, ich habe das Ganze in eine gewisse Richtung gebracht. Aber alle Ereignisse, die vorkommen, sind zumindest im Kern historisch belegbar.

Aber die Richtung ist erkennbar: Rousseau erscheint weniger als Erzieher der Menschheit, sondern als bockiger kleiner Junge. Gerade nach seinem Auszug bei „Mama“ häufen sich seine Wutanfälle. Als Leser fühlt man sich ab einemgewissen Zeitpunkt schon ebenso getrieben von Rousseau wie die meisten seiner Weggefährten. Soll die Erzählweise bewirken, dass man mit Rousseaus Begleitern mitfühlt?

Natürlich wollte ich ein solches Psychogramm zeichnen. Was bei einem Menschen, der nicht aus so vielen Paradoxien besteht, weit weniger spannend wäre. Die berühmteste Paradoxie bei Rousseau ist ja, dass er seine fünf eigenen Kinder gar nicht schnell genug ins Waisenhaus bringen konnte - und dann eine Erziehungslehre schrieb, die großen Anklang fand. Bis heute spielt die Rousseausche Pädagogik eine große Rolle.

In „Wintzenried“ werden ständig Erwartungshaltungen gebrochen: Das fängt für den Leser schon beim ersten Satz an, wenn es heißt „Er liegt im Bett, onaniert und stellt sich Mama dabei vor“. „Mama“ ist aber nicht seine Mutter, sondern seine Geliebte. Und auch Rousseaus Erwartungen gegenüber seinen Freunden werden ständig enttäuscht. Welche Aussage bleibt da am Ende noch übrig?

Ein Roman hat Gott sei Dank nie eine Aussage. Ein Roman soll vielfältig sein. Es ist ja schon eine ganze Menge, wenn man einen Menschen in all seinen Paradoxien vorführt. Auch heutzutage kommt es oft genug vor, dass Leute, die ständig von Gleichheit und Gerechtigkeit reden, mit niemandem in Frieden leben können. Rousseau hat sich vor anderen immer furchtbar benommen. Doch dann waren immer die anderen schuld. Am Ende konnte er sich ein wahres Leben nur noch auf einer einsamen Insel vorstellen. Und er wollte eigentlich, dass das jeder macht, anstatt zu sagen: Mir selbstwürdedas gut tun, dann würde ich mich vor den anderen nicht mehr so katastrophal gehen lassen.

Apropos Erwartungen: Haben Sie damit gerechnet, einmal den Hebelpreis zu bekommen?

Damit rechnet man nicht. Aber klar, das ist eine riesige Freude.

Waren Sie schon jemals in Hausen?

Ich kenne natürlich das Wiesental, aber bisher bin ich durch Hausen nur gefahren und war noch nie im Hebelhaus.

Dann haben Sie ja jetzt die Gelegenheit, sich alles einmal anzuschauen.

Genau.

KURZINFO

Der in Freiburg lebende Schriftsteller Karl-Heinz Ott erhält den Hebelpreis des Landes Baden-Württemberg am10.Mai in Hausen. Ministerin Theresia Bauer überreicht den Preis während der Feier in der Festhalle, die um 11.45 Uhr beginnt. Der Hebelpreis wird an Schriftsteller verliehen, die durch ihr Werk dem alemannischen Sprachraum oder dem Dichter Johann Peter Hebel verbunden sind. Am Mittwoch, 9. Mai, liest Ott um 20 Uhr im Hebelhaus aus seinem Roman „Wintzenried“. Wintzenried war ein Friseur, der Rousseau die Ersatz- Mutter und Geliebte ausgespannt hat. Daraufhin zog Rousseau nach Paris und wurde Philosoph.