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Presse aktuell 2012
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Die Oberbadische vom 22.3.12
Der Schatz der Heimat
Carola Horstmann und Ulrike Derndinger
lesen beim Hebelbund auf Alemannisch
Von Beatrice Ehrlich
Lörrach. Volker Habermaier, neuer Leiter der
„Literarischen Begegnungen“ beim Hebelbund in
Lörrach, will daraus ein Forum für Literaten der
Gegenwart machen. Ein Höhepunkt war die zweite
Veranstaltung in dieser Reihe am Sonntag: eine
Lesung der Schriftstellerinnen Carola Horstmann
und Ulrike Derndinger auf Alemannisch.
Für beide ist das Alemannische eine Art
musikalische Sprache, mit der sie Gedanken und
Beobachtungen in eine perfekte Formfassen
können. Und wenn man sie dann lesen hört, klingt
das wie selten gehörte Musik: Hier der glasklar-
klingende Dialekt aus Zell im Wiesental
(„Hebeldeutsch“) der älteren der beiden (Carola
Horstmann, Jahrgang 1948), dort der schleppende
Tonfall aus Kürzell im Ortenaukreis der jüngeren
(Ulrike Derndinger, Jahrgang 1977).
Bezaubernde Miniaturen haben die beiden
Schriftstellerinnen im Gepäck, die sich
sichtlich kennen und mögen. Sie lesen
abwechselnd. Horstmanns anschaulich in Worte
gefasste Alltagsbeobachtungen („Weg in die
Badi“, „Moneli“) die oft in die Kindheit führen,
lassen vor den Augen der Zuhörer das Dorf und
seine Bewohner und die Familie ganz plastisch
entstehen. Es gelingt ihr, mit ihren kurzen
Prosatexten und auch mit den knapp gehaltenen
Gedichten das Persönliche zur Metapher für
Fragen, die alle betreffen, zumachen:
Außenseiter, subtile Gewalt, Generationenfragen.
Dabei kommt Horstmann ihre genaue
Beobachtungsgabe, die Fähigkeit, hinzuhören und
der virtuose Umgang mit ihrer Muttersprache
entgegen. Wegen ihrer umfassenden Qualität,
sowohl sprachlich als auch inhaltlich, sind
Carola Horstmanns alemannische Texte keinesfalls
nur für Muttersprachler reizvoll. Ganz im
Gegenteil: Der klare Ausdruck macht sie auch für
andere literarisch interessierte Zuhörer zu
einem Erlebnis und schafft einen neuen Zugang
zum Dialekt.
Hört man dann noch Ulrike Derndinger, möchte man
fast meinen, dass der alemannische Dialekt
reicher an Sprachmitteln ist als die
Hochsprache, um die Wirklichkeit und das was
dahinter liegt, nämlich Differenzen,
Gemütszustände, verschiedene Zeitebenen, in
treffendeWorte zu fassen.
Wo Horstmann Bilder, präzise und farbig, wie in
einem Film erschafft, wirkt Derndingers Prosa
eher körperlich; durch ihren Rhythmus und
feinste Differenzierungen in der Klangfarbe, das
Hervorrufen von Gerüchen, Geräuschen und
Gefühlen. Ein Beispiel dafür sind ihre Texte
über die „Viecher“:„Guet im Fueder“, in dem sie
von einer Greisin und ihrem Gefolge, Hund und
Katz, erzählt, „Hol de Schang“ über die Geburt
eines Kalbes, und „Armani“, die Geschichte eines
Schoßhundes, der die Freiheit wählt. Die
Journalistin Derndinger berichtet, dass sie sich
erst fern der Heimat, in Berlin, des Schatzes
bewusst wurde, den ihre Sprache für sie
darstellt - und dann auf Alemannisch zu
schreiben begann.
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