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Presse aktuell 2011
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BZ vom 4.7.2011
Tiefgründig und doppelbödig
Der Hebelabend in Hertingen gewährte unterhaltsam und informativ Einsicht in das Leben und Werk des Schriftstellers
Von unserer Mitarbeiterin Silke Hartenstein
BAD BELLINGEN-HERTINGEN. Wie kam es, dass dem
Schriftsteller Johann Peter Hebel das Attribut
"Heimatdichter" angehängt wurde? Wie schaffte es
der junge Hebel in der Provinz, innerhalb von
zwei Jahren 300 Bücher zu lesen? Wer waren die
wichtigen Frauen in seinem Leben? Das und noch
viel mehr erfuhren die Besucher des Hebelabends
in Hertingen beim Vortrag von Hebelkenner und
Schuldekan Uwe Hauser.
Hebel arbeitete von 1781 bis 1783 als Hauslehrer
beim Hertinger Pfarrer. Zum "Freudig' Stündli"
im Rahmen der Hebel-Veranstaltungsreihe hatten
der Trachtenverein Kandern, die Hertinger
Hebelfreunde und die evangelischen
Kirchengemeinden Kandern und Hertingen
eingeladen. An sich wollte man im Hertinger
Pfarrgarten bei Scharwaie und Wein zusammen
kommen. Witterungsbedingt wich man in die Kirche
aus und der Kreis der Besucher blieb
überschaubar.
Referent Uwe Hauser, passend gekleidet im grauen
Gehrock, ließ auf unterhaltsame und informative
Weise, mit tiefgründigen Betrachtungen und
heiteren Anekdoten den Dichter und die Wende des
18. zum 19. Jahrhundert lebendig werden. Die
Vertreter des Trachtenvereins Kandern, darunter
auch eine Dame in der zu Hebels Zeiten üblichen
"Vreneli" -Tracht mit Strohhut, Zwickelrock und
Mailänder Tuch, trugen durch ihr
Erscheinungsbild zur nostalgischen Atmosphäre
bei. Diese wurde noch verstärkt durch das
gemeinsame Singen vertonter Hebelgedichte zu
Hermann Mehnerts Klavierbegleitung. Bei seiner
Interpretation dieser Lieder wies Hauser immer
wieder auf das Tiefgründige und Doppelbödige der
Verse hin. Selbst im volkstümlichen Lied "Ne
Gsang in Ehre" brachte Hebel seine großen Themen
ein: Die Einheit von Mikro- und Makrokosmos und
die kurze Zeitspanne, die dem Menschen im Hier
und Jetzt bleibt. Dem Tod und der
Vergänglichkeit widmete der Dichter, der mit 13
Jahren Vollwaise wurde, sein großes Gedicht vom
Weltuntergang.
Die alemannischen Gedichte, so Hauser, seien
durchweg in antiken Versmaßen gehalten, da sich
Hebel als geistiger Nachfahre der großen Dichter
des antiken Griechenlands empfunden habe —
übrigens schrieben auch diese in ihrem Dialekt.
Hauser erzählte vom jungen Hauslehrer im armen
Pfarrhaushalt, der seine Freizeit mit
Wanderungen und dem Lesen von 300 Werken
Weltliteratur verbrachte. Diese kamen per
Fernleihe aus der Karlsruher Bibliothek via
Pferdewechselstation Kalte Herberge nach
Hertingen. Er schilderte, wie der junge Hebel in
froher Runde mit "Jumpfer" Gustave Fecht
Tastspiele im Dunkeln spielte und als gesetzter
Herr in Karlsruhe der lebenslustigen
Schauspielerin Henriette Hendel private
Alemannisch-Lektionen gab. Auch von Hebels
spiritueller Beziehung zum Belchen und vom
Proteus-Bund war die Rede. Die Nazis, so Hauser
zuletzt, hätten ihre Mühe damit gehabt, Hebel in
ihre Ideologie "einzugemeinden" und seien dafür
verantwortlich, dass der Weltliterat seit dem
Zweiten Weltkrieg als Heimatdichter angesehen
wurde.
Hebel-Reihe: Am
Sonntag, 17. Juli, 18 Uhr, wird die Hebel-Reihe
mit einem Abendgottesdienst zu Hebels "Liedlein
vom Kirschbaum" in der evangelischen Stadtkirche
Kandern fortgesetzt. Referent ist Schuldekan
Ralph Hochschild aus Hausen.
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