Presse aktuell 2011


BZ vom 21.6.2011

Wenn aus der Predigt eine
Gedichtinterpretation wird

Der Schriftsteller Markus Manfred Jung und Kirchenmann Hebel im Gottesdienst — das scheint einen Nerv zu treffen


KANDERN (sil). Beim Abendgottesdienst zu Texten von Johann Peter Hebel machte sich der Mundartlyriker Markus Manfred Jung seinen Reim auf das Gedicht "Das Gewitter" . Der Schriftsteller und Kirchenmann Hebel im Gottesdienst — das scheint einen Nerv zu treffen. Die evangelische Stadtkirche war an diesem Sonntagabend gut besetzt, unter den Besuchern war auch eine Abordnung des Trachtenvereins Kandern in Markgräfler Tracht. Gut gelaunt eröffnete Pfarrer Matthias Weber die Veranstaltung: "Spannend ist bei dieser Predigtreihe: Ich weiß nicht, was Markus Manfred Jung sagen wird" .

Es folgte eine gelungene Gedichtinterpretation mit Predigtcharakter. Zuerst jedoch schlug Jung den Bogen zu Rainer Maria Rilke, der laut einer Erzählung von Carl J. Burckhardt beim Gespräch über Literatur in einem Antiquariat auch auf "La Fontaines jüngeren Bruder" Johann Peter Hebel und dessen Gedicht "Das Gewitter" aufmerksam gemacht wurde. Hier nahm sich Rilke vor, sich eingehend mit Hebels Werk zu befassen, das alemannische Gedicht vom Gewitter jedoch konnte er schlichtweg nicht verstehen. "Sie hen des Glück, dass Sie's verstöhn" , wandte sich Jung an die Anwesenden und trug empathisch Hebels Verse vor. Durch Kanderns geografische Lage wurde die wilde Gewitterstimmung noch spürbarer — schließlich ballen sich in Hebels Versen die Wolken über dem Blauen zusammen, und von Schliengen her hört man die Kirchenglocken. Hier fasst der Dichter die Gewalt eines Gewitters, das die Ernte und somit die Existenz zu zerstören droht, in kraftvolle, bildhafte Verse. Immer wieder, so Jung, schlage Hebel dabei den Bogen vom nicht beeinflussbaren Geschehen draußen nach drinnen zum vertrauensvoll schlafenden Kind: "O geb is Gott e Chindersinn! ’S isch große Trost und Sege drinn. Sie schlofe wohl und traue Gott, wenn’s Spieß und Nägel regne wott" . Das lyrische Ich schlüpfe in wechselnde Rollen. Dieses sich Hineinversetzen in Kind, Mutter, Vogel und Sonne im Sinne der kosmischen Einheit stelle einen weiteren Schritt auf dem Weg ins Gottvertrauen dar, fand Jung. In der Rolle der Mutter gelange das lyrische Ich zu der Erkenntnis: Wenn ich dem Kind gebe, was es braucht, erlangt es dadurch Gottvertrauen — und auch die Sonne wirft zuletzt ihr Licht auf einen Schaden, der geringer ist als befürchtet: "Es stoht no menge Halm im Bah' und menge Baum, und Oepfel dra." Mit kräftigem Beifall bedankten sich die Besucher bei Jung, dessen Vortrag passend mit Geschichten und Kirchenliedern rund ums Gottvertrauen umrahmt wurde.

Die Veranstaltungsreihe der evangelischen Stadtkirche Kandern rund um Johann Peter Hebel wird fort gesetzt mit einem geselligen Hebelabend im Hertinger Pfarrhausgarten am Mittwoch, 29. Juni, um 20 Uhr.