Presse aktuell 2010


BZ vom 26.10.2010

Ein ganz eigenes Treiben durch die Nacht

Zum Abschluss des Weiler Hebel-Erinnerns gab’s in Altweil Hansjürgen Wäldele Hebel-Vertonungen mit der Jungen Kantorei

Schlag Mitternacht macht Hebels Nachtwächter die Runde, mit Hellebarde, Horn und Laterne. Er geht durch die finsteren Gassen zum Kirchhof, sinniert über den kleinen Schlaf der Menschen in den Häusern und den großen Schlaf der Toten in ihren Gräbern. Diese Atmosphäre des Nächtlichen, des Dunklen, die Rufe des Nachtwächters — das fängt Hansjürgen Wäldele in seiner Komposition "Mitternacht" auf das Gedicht "Der Wächter in der Mitternacht" von Johann Peter Hebel sehr eindringlich ein.

Die Uraufführung dieser Komposition für Tenor, Chor und fünf Instrumente stand im Zentrum des Konzerts der Jungen Kantorei Weil in der vollbesetzten Kirche Altweil. Der Ort war passend gewählt, verweilte Hebel doch oft im nahegelegenen Pfarrhaus seines Freundes Güntert. Es waren ausschließlich Hebel-Vertonungen von Wäldele zu hören, und der Abend begann mit dem 2003 entstandenen Bicinium "Lueg, dört isch d’Erde gsi" für Sopran und Englischhorn nach Hebels bedeutendem Gedicht "Die Vergänglichkeit" . Zwei Stimmen, der helle Sopran von Birte Niemann und das dunkel timbrierte Englischhorn von Wäldele, tragen dieses visionäre Gedicht in Gesprächsform wie in einem durchkomponierten Rezitativ vor: melancholisch und beschwörend in den Harmonien, die sich wie Pendel von Glocken wiederholen. Es war großartig in der Klangwirkung, wie die Sopranistin und der Oboist Hebels Sprache und seine Schilderung der Apokalypse umsetzen.

Aktuell zum Hebelprojekt des Kulturamts hat der Komponist und Kantorei-Leiter Wäldele einige Hebel-Gedichte neu vertont, die uraufgeführt wurden. Noch in traditioneller Tonsprache gehalten sind die kleinen hübschen Chorstücke zu Hebels kurzem Text "Trost" , die die Junge Kantorei schlicht, innig und aus dem Herzen kommend sang. Der eher melancholischen Grundstimmung des Konzerts entsprach Wäldeles Stück "Mitternacht" , das in neun Sätzen die Strophen von Hebels Nachtwächter-Gedicht mit eindringlicher Erzählkraft und vielschichtiger moderner Tonsprache nachzeichnet. Den Part des Nachtwächters sang der Schweizer Tenor Hans-Jürg Rickenbacher in schwyzerdütscher Mundartfärbung, prägnant und tragend gestaltet er die Wächterrufe, einfühlsam singt er die philosophierenden Gedanken des Wächters, der über die Endlichkeit des Lebens nachsinnt.

Komponist Wäldele hat tief in seinen Hebel hineingehorcht. Individuell in den Stimm- und Klangfarben erfasst er die Atmosphäre der Nacht, des gespenstischen Dunkels, des Sinnierens über den Schlaf und den Tod, das Beschwören von Mond und Sternen. Der Chor, der schwierige Partien zu singen hat, versetzt sich stimmlich hervorragend variabel in diese Stimmung der Nacht. Herausragend auch das Instrumentalquintett mit der Hornistin Tatiana Cossi, dem Klarinettisten Christian Leitherer, dem Bratschisten Walter Kösters, der Cellistin Michaela Bongartz und dem Kontrabassisten Bernd Schöpflin, die mit dunklem, warmem Klang das mitternächtliche Geschehen wunderbar lyrisch illustrieren. Mit dem friedvollen Lied "Auf einem Grabe" klang dieser Abend zum Abschluss des Schatzkästlein-Projekts aus. Wie sagte doch ein Besucher beim Hinausgehen: "Das war ganz eigen!".


Roswitha Frey