|
Presse aktuell 2010
|
Der Spiegel online vom 10.5.10
Zum 250. von Johann Peter Hebel
Short Storys für die Bauernküche
Von Ulrich Baron
Retter eines
krisengeplagten Printmediums: Am 10. Mai vor 250
Jahren wurde in Basel der Dichter Johann Peter
Hebel geboren. Sein Meisterwerk war die
Modernisierung des Landkalenders - mit dem er
literarische Glanzstücke in einfachste Haushalte
brachte.
"Brauer macht mich mit Gewalt zum
Schriftsteller", seufzte Johann Peter Hebel 1802
über die ehrenwerte Last, die ihm der Badische
Geheime Rat Johann Nikolaus Friedrich Brauer
aufgebürdet hatte: "Ich habe ietzt mit Professor
Böckmann den Landkalender zu befrachten."
Was als "Kurfürstlich badischer gnädigst
privilegierter Landkalender für die badische
Marktgrafschaft lutherischen Anteils" firmierte,
war in eine "akute Absatzkrise" geraten,
konstatiert der Hebel-Biograf Bernhard Viel.
Schuld daran war nicht nur der Titel. Die ganze
Machart schrie nach einer Blattreform.
Dessen Vorläufer, die Bauernkalender mit ihren
Aussaat- und Ernteregeln, Wetterprognosen,
nützlichen Tipps und erbaulichen Geschichten,
waren neben Bibel und Gesangbuch in vielen
Haushalten die einzigen Bücher gewesen. Aber der
"Landkalender" mit seinem schlechten Layout und
billigen Papier wirkte inzwischen eher
abschreckend. Der theologisch wie naturkundlich
gebildete, pädagogisch wie literarisch
gleichermaßen begabte Hebel verordnete ihm eine
grundlegende Umgestaltung: besseres Papier,
besserer Druck und vor allem bessere
Geschichten.
Die schrieb er überwiegend selbst. Hatte er sich
1803 mit der Buchfassung seiner "Alemannischen
Gedichte" als weit über seinen Wirkungskreis
hinaus geschätzter Lyriker etabliert, so
entwickelte er als alleiniger Redakteur des 1807
in "Der Rheinländische Hausfreund" umbenannten
Kalenders eine Kurzprosa, deren zu Klassikern
gewordene Glanzstücke dem Vergleich mit besten
Short Storys standhalten.
Neben einem Rezept "Blaue Dinte zu machen"
finden sich Meisterleistungen wie das berühmte
"Kannitverstan". Vordergründig erscheint dies
als harmlose Schmunzelgeschichte, bei der ein
biederer deutscher Handwerksbursche in Amsterdam
nach dem Besitzer eines prächtigen Hauses und
eines großen Handelsschiffs fragt. Weil ihn
niemand versteht, antwortet man stets mit
"Kannitverstan", was der naive Fremde für einen
Namen hält.
Ein Grab als
kühles Hochzeitsbett
Dann aber erblickt er einen Leichenzug und
erhält ein weiteres Mal dieselbe Antwort. Und,
so schließt der Erzähler, "wenn es ihm wieder
einmal schwer fallen wollte, dass so viele Leute
in der Welt so reich seien, und er so arm. So
dachte er nur an den Herrn Kannitverstan in
Amsterdam, an sein großes Haus, an sein reiches
Schiff, und an sein enges Grab".
Aus einem einzigen, missverstandenen Wort lässt
Hebel eine Geschichte erwachsen, die "vom Irrtum
zur Wahrheit" führt und zugleich ein Exempel für
die Eitelkeit irdischen Besitzes abgibt. Anders
das Stück "Unverhofftes Wiedersehen". Darin wird
die Leiche eines kurz vor seiner Hochzeit
verunglückten Bergmanns nach einem halben
Jahrhundert entdeckt. Seine alt gewordene
Verlobte erlebt ein makaberes Wiedersehen mit
ihrem von Eisenvitriol jugendfrisch
konservierten Geliebten. "Schlafe nun wohl",
sagt sie bei dessen Begräbnis, "noch einen Tag
oder zehen im kühlen Hochzeitsbett, und laß dir
die Zeit nicht lange werden. Ich habe nur noch
wenig zu tun, und komme bald, und bald wird's
wieder Tag."
Hoffnungen auf eine Auferstehung am Jüngsten Tag
sind uns heute sehr viel ferner als dem früh
verwaisten Johann Peter Hebel. In seiner
Erzählung aber scheint alles darauf zuzueilen.
In den fünfzig Jahren, die zwischen dem
Verschwinden des Bergmanns und dem Fund seines
konservierten Körpers liegen, wird die
historische Zeit mit ihren Haupt- und
Staatsaktionen auf Schnelldurchlauf gestellt:
"Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in
Portugal von einem Erdbeben zerstört, und der
siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser
Franz der erste starb und der JesuitenOrden
wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die
Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee
wurde hingerichtet", geht das über eine halbe
Seite hinweg, bis dann der Tag des unverhofften
Wiedersehens da ist. Weltliche Geschichte
rauscht hier einfach durch. Was bleibt, sind
Glaube, Liebe und Hoffnung.
So sicher Johann Peter Hebel ein Leben aus einer
Reihe von Kannitverstans zusammenfügt, so leicht
löst er seine Erzählung hier aus dem Joch des
Geschichtsverlaufs. Und liefert damit bis heute
das Vorbild eines Schreibens, das seine Leser
zugleich zu fesseln und zu befreien vermag.
|
|
|
|