Presse aktuell 2010


BZ vom 19.10.2010

Hebel braucht kein Update

Anne Ehmke und Nina Hoger im Lörracher Nellie Nashorn

Der Hebelfeierlichkeiten könnte man müde werden, schließlich feiert das Land und speziell das Wiesental ihre heimische Dichterikone schon das ganze Jahr. Nicht jedoch Anne Ehmke und Nina Hoger, die beide meinen, Johann Peter Hebels Kalendergeschichten gehören schon längst aus diesem heraus und auf die Bühne hinauf. Auch dem Publikum im Nellie Nashorn sind die Jubiläumsfeierlichkeiten noch nicht über, der Saal ist nahezu ausverkauft.

Wie Johann Peter Hebel nun zeitgemäß inszeniert auf die Bühne bringen? In dem man ihn einerseits lässt, wie er ist. Seine zeitlosen Kalendergeschichten brauchen kein Update. Hebels Klassiker vom Herrn Kannitverstan, oder seine wohl schönste Geschichte, die vom "Unverhofften Wiedersehen" brauchen nur die warme Stimme von Nina Hoger, um ihren Zauber zu entfalten. Seine zeitlose Werte, sind nie Trends unterworfen, was sie so beliebt machte bei Denkern, egal welcher Richtungen.

Was für die Kalendergeschichten anerkannt ist, ist es für die alemannischen Gedichte nicht ohne Weiteres. Anne Ehmke, Daniel Vogel an den Gitarren und Hennes Neuert am Bass wollen ihnen alles Idyllische auszutreiben, den Biedermeierstaub wegblasen. Sie illustrieren akustisch und bedienen sich der aktuellen Klangsprachen. Rock und Jazz harmonieren vortrefflich mit Hebels Gedichten, vor allem, wenn sie so energiegeladen vorgetragen werden, wie von Anne Ehmke. Wie Hebel von den Frauen schreibt, ist schon spannend, ist der Prälat für vieles bekannt, für seine Bindungsfähigkeit nur eingeschränkt.

Doch verlieben konnte er sich, zumindest konnte es sein Dichterego, was bezaubernde Liebesgedichte hervorbrachte. Und wenn Anne Ehmke vom Vreneli singt oder vom "Hexli am Schnitzstuehl" , ja, dann hat jenes Hexli plötzlich ein Gesicht bekommen und Hexli und Anne Ehmke verschmelzen und werden eins.

Hebels Gedichte mit Rock und Jazz interpretiert, lassen aber alle Zeitcouleur in den Hintergrund treten, wichtig sind Liebesglück und Liebesschmerz, Naturerfahrung und Geselligkeit. Zeitloses, wie in den Kalendergeschichten eben auch.

Die Geschichte vom Zecher sticht aus den Übrigen etwas heraus. Anne Ehmke hat sich auch diese Gedichtes angenommen. Ein Zecher und Säufer steht im Mittelpunkt dieses an Wortspielen reichen Textes, aber statt den Zügellosen zu verurteilen, begleitet Hebel ihn nur literarisch auf seiner Sauftour. Wohlwollen statt moralischem Zeigefinger — Hebel lädt 2010 tatsächlich immer noch zu Entdeckungen ein.

Sie ergänzen sich vollkommen, die Sängerin und Daniel Vogel und Hennes Neuert. So stark die Stimme Anne Ehmkes ist, sie braucht die musikalische Vielfältigkeit und Virtuosität von Daniel Vogel. Auch Hennes Neuert am Bass setzt in diesem Kammerpopmusikensemble virtuose Akzente.

Martina David-Wenk