Presse aktuell 2010


 
BZ vom 8.7.2010

Hebels Band zu Teningen

Johann Peter Hebels Straßburger Freundin Sophie Haufe lebte zuletzt hier und ist hier begraben.

TENINGEN. Auf dem Teninger Friedhof steht der schlichte Grabstein von Sophie Haufe geborene Bögner, versehen mit den Lebensdaten und den Worten "Die Straßburger Freundin von J. P. Hebel". Bei Nachforschungen über diese Frau wird man im umfangreichen Buch "Johann Peter Hebels Briefe" fündig, in dem die zahlreichen Schreiben an Sophie Haufe enthalten sind. Auch in den Biografien Hebels wird Sophie Haufe regelmäßig genannt, über ihre Rolle als "Hebels Brieffreundin" hinaus ist aber nur wenig über sie bekannt.


Grab Sophie Haufe
Foto: Alfred Winski

Sophie Bögner, am 1. September 1786 in Müllheim geboren, war die Tochter des Pfarrers von Hertingen bei Bellingen, die nach dem frühen Tod ihres Vaters mit Mutter und Schwester 1789 nach Durlach gezogen ist. Hebel, der die Familie Bögner kannte, kam 1791 nach Karlsruhe, wo er als "Subdiakonus" am "Gymnasium illustre" Hebräisch, Griechisch, Latein und Geographie, zeitweise auch Mathematik und Naturwissenschaften unterrichtete. Als Freund und "Oberländer" pflegte er regen Kontakt mit Bögners.
Hebel hat wohl zusammen mit der Pfarrerswitwe schon früh den Plan gefasst, Sophie, die damals noch nicht einmal konfirmiert war, mit seinem ehemaligen Lörracher Schüler Christof Gottfried Haufe zu verbinden. Er schickte Haufe, der ihn in Karlsruhe besuchte, kurzerhand zur Familie Bögner. Der junge Mann, elf Jahre älter als Sophie, wurde bei den Bögners gut aufgenommen und Hebels Kalkül ging auf. 1804 heirateten Haufe und die kaum 18-jährige Sophie. Beide ließen sich in Straßburg nieder, wo der gelernte Goldschmied ein Schmuckwarengeschäft betrieb. Ihr Haus stand am alten Fischmarkt und war Treffpunkt gebildeter Bürger von Straßburg. Künstler, Gelehrte, Pfarrer und Kaufleute aus der Elsass-Metropole wie aus der badischen Nachbarschaft gingen ein und aus und brachten oftmals ihre Besuche mit, so Pfarrer Oberlin aus dem Steintal oder den Dichter Clemens Brentano. Joseph Görres, ein damals berühmter katholisch-politischer Publizist und Begründer des "Rheinischen Merkur", war mit den Haufes befreundet, während er in Straßburg wohnte und die Kinder der beiden Familien hatten noch Kontakt, als Görres nach München umgezogen war. Und schließlich kam Jakob, einer der Brüder Grimm, 1814 bei der Belagerung Straßburgs auf Empfehlung von Hebel einige Zeit bei der Familie Haufe unter.

Da Haufes Goldschmiedegeschäft nicht besonders erfolgreich war, gründete er um 1811 eine Baumwollspinnerei. 1826 zog die Familie nach Seelbach im Schuttertal, wo Haufe eine Papierfabrik aufbaute, die er bis zu seinem Tod 1840 betrieb.

Haufes Tochter war Pfarrfrau in Keppenbach, Weisweil und Teningen

Sophie Haufe, Mutter von vier Töchtern und einem Sohn, lebte danach in der Familie ihrer zweitältesten Tochter Adelheid. Diese war mit Wilhelm Engler verheiratet, Pfarrer in Keppenbach und Weisweil sowie 1853 bis 1878 in Teningen. Im Teninger Pfarrhaus, wo sie ihre Erinnerungen niederschrieb, verbrachte Sophie Haufe ihre letzten Lebenstage.

Unter den Gästen der Haufes hatte Hebel, der Straßburg von 1805 bis zu seinem Tod fast jährlich besuchte, eine ganz besondere Stellung. Er kam als väterlicher Freund zu den Haufes, wo er "im gemütlichen Kreise, wo keine Zeremonie bekannt war … mit Achtung und großer Liebe willkommen geheißen war", wie Sophie Haufe in ihren Erinnerungen schreibt. Hebel, dem in Karlsruhe, der kaum hundert Jahre alten Residenz mit ihren vielen steifen Beamten und forschen Soldaten, immer mehr Arbeit zuwuchs, suchte offenbar Entspannung bei seinen Freunden in Straßburg. "Er streifte gern allein in der Stadt und in den alten Gäßchen umher, in welchen er den nämlichen Geruch wie in Basel entdeckte und sich darüber freute", bemerkt Sophie Haufe. "Ich wähnte, wenn ich allein und in Gedanken war, immer in Basel zu seyn" schreibt der gebürtige Basler Johann Peter Hebel einmal über seine Aufenthalte in Straßburg.
Der Enge wegen musste er in den ersten Jahren "auf dem Kanapee im Wohnzimmer" schlafen, auf dem auch die Kinder "gebütschelt" (gewickelt) wurden. Aus dieser Doppelfunktion seines Nachtlagers erwuchs ein Vorfall, der die Familie offenbar noch lange erheiterte. Die Freundin berichtet: "Einmal kam er nach Hause und beklagte sich über sein mächtig großes Sacktuch, welches er so schwer aus der Tasche bringe. Wir halfen ihm ziehen und siehe da! Es war eine zwei Ellen lange Windel, die er statt seinem Sacktuch eingesteckt hatte". Der Professor für antike Sprachen "lernte auch von den Schildern über den Läden französisch und tat sich etwas zugute, wenn er wußte, daß der Handschuhmacher gantier hieß", erinnerte sich Sophie Haufe.

Hebel und der "Belchen der Kirchtürme"

Regelmäßig, wenn er in Straßburg war, bestieg er den 142 Meter hohen Münsterturm, damals höchstes Bauwerk der Welt. Der Oberländer, der den heimatlichen Belchen mystisch verehrte, verlieh dem Straßburger Turm den Ehrentitel "Belchen der Kirchtürme".
Hebel machte gerne am Abend mit den Freunden einen Gang vor die Tore der Stadt und blieb dann und wann alleine bei einem Schoppen Wein in einer kleinen Kneipe zurück, um "den Naturlauten der Landbewohner zuzuhören".

Sophie Haufe sollte Modell stehen für Illustrationen

Manchmal saß er im Goldwarengeschäft seines Freundes Gottfried Haufe, beobachtete die Menschen, die dort ein und aus gingen und wurde dabei vielleicht zu seiner Kalendergeschichte "Der falsche Edelstein" inspiriert, in der er selbst als "Hausfreund" mit seinen "Gevattersleuten" und dem Goldschmied Haufe in einer Straßburger Gartenwirtschaft auftritt. Neben aller Erholungssuche nutzte Hebel seine Aufenthalte in Straßburg auch, um sich von Gottfried Haufe, einem intelligenten und praktischen Mann, beraten zu lassen, so etwa bei der Illustration der "Allemannischen Gedichte", die von den Straßburger Künstlern Benjamin Zix und Frédéric Sigismond Simon ausgeführt wurden. Da er mit dem Zix’schen Entwurf einer "Oberländer Nationaltracht" nicht zufrieden war, schlug Hebel in einem Brief vor, eine solche zu besorgen und nach Straßburg zu schicken. Sophie könnte "den weiblichen Anzug anziehen und dem Künstler zum Original stehen."
Die enge Verbindung der Familie Haufe zu Hebel hielt Hebel sein Leben lang aufrecht. Er war Pate zweier Kinder von Sophie Haufe und diese durften bei ihm in Karlsruhe Ferien machen. 1826 nahm der hochbetagte Johann Peter Hebel den neunjährigen Oswald Haufe in seinen Karlsruher Haushalt auf. Wie Sophie Haufe berichtet, bemühte sich Hebel rührend um seinen Schützling, etwa indem er mit dem Kleinen bastelte: "Wir schneiden dermalen den ganzen Tag papierne Monturen zu, und nähen sie alsdann mit Kleister" schreibt Hebel nach Straßburg. Der kleine Oswald blieb bis zu Hebels Tod im September 1826 in dessen Obhut.

Oswald Haufe hat später Architektur studiert, kam als Baupraktikant nach Lörrach und wurde 1859 Großherzoglicher Bezirksbaumeister in Wertheim, wo er lange Jahre amtierte. Zuletzt war er Bezirksbauinspektor in Offenburg: 1884 trat er in den Ruhestand und starb 1903 in Freiburg.
Sophie Haufes Enkel Carl Engler, im Pfarrhaus Weisweil geboren, war Professor für Chemie in Karlsruhe und zeitweise Rektor der damaligen Technischen Hochschule sowie Reichstagsabgeordneter. Carl Engler ist einer der Entdecker der Indigo-Synthese und gilt als Begründer der deutschen Erdöl-Chemie.


Die Briefe von Johann Peter Hebel, darunter die an Sophie und Gottfried Haufe, findet man ebenso wie die Gedichte und Kalendergeschichten auf der Internetseite http://www.hausen-im-wiesental.de


Der Autor Alfred Winski (58) wurde in Emmendingen geboren und ist in Teningen aufgewachsen, wo er auch lebt und arbeitet. Winski ist Biologe und beschäftigt sich schon lange mit Johann Peter Hebel, vor allem mit dessen naturkundlichen Ausführungen zu Themen aus der Pflanzenkunde und der Astronomie sowie mit den Gedichten und dem Dialekt. Bei der Lektüre stieß er auch auf den Teninger Bezug im Leben des Dichters, der vor 250 Jahren geboren wurde.