Presse aktuell 2010


 
Stuttgarter Zeitung vom 10. Mai 2010

Wenn Engel zur Heugabel greifen

Lebensbild Der runde Geburtstag bleibt nicht folgenlos: Gleich zwei aktuelle Biografien widmen sich Johann Peter Hebel.

Von Armin Ayren

Heide Helwigs Buch über Johann Peter Hebel ist keine Biografie im üblichen Sinn: Sie erzählt das Leben und Schaffen des großen alemannischen Dichters nicht linear, sondern unter verschiedenen Gesichts- und Schwerpunkten wie „Sprachheimat und Dialektgedicht“. Das führt zwangsläufig zu Überschneidungen und Wiederholungen. Überhaupt hat man lange Zeit den Eindruck, es gelinge ihr nicht, die vielen Details aus den verschiedensten Quellen zu einem geschlossenen Gesamtbild zusammenzufügen. Doch dann begreift man: das will sie gar nicht
Ihr Hebel ist nicht mehr nur der gemütvolle, mit den „Merke!“-Schlüssen seiner Kalendergeschichten auch gern moralisierende Volkserzieher wie noch in der 1965 erschienenen Biografie von Wilhelm Zentner, dessen blumiger Stil heute veraltet wirkt. Den wiederum scheint Bernhard Viel, der Autor der zweiten neuen Hebelbiografie, manchmal nachzuahmen.

Zwei Seelen auch in dieser Brust
Bei Heide Helwig ist Hebel komplexer: kein leicht zu beschreibender Charakter, gefestigt zwar, aber halt auch mit zwei Seelen in der Brust. Auch Viel möchte seinen Hebel zwiespältig, unterstellt dazu dem lebenslang Bescheidenen Eitelkeit und übernimmt kritiklos Gertrud Lukanows sehr anfechtbare psychoanalytische Deutung: Hebel habe den Tod seiner Mutter lebenslang als Trauma mit sich herumgeschleppt und deshalb nie geheiratet.

Helwigs Bild von Hebel überzeugt weit ‚mehr: Da ist einerseits der konservative Politiker, Mitglied im badischen Landtag (aber als Prälat nicht in der Zweiten Kammer, bei den Volksvertretern, sondern in der Ersten bei Standesherren und Junkern) und sogar des Oberzensurkollegiums, das über die Unanstößigkeit aller im Großherzogtum Baden erscheinenden Schriften, auch der Zeitungen, zu wachen hatte. Und als seine langjährige Brieffreundin Gustave Fecht ein Leseinstitut gründet und ihn um Lektüreempfehlungen bittet, wendet er ein: „Ich halte iust nicht viel auf die Belesenheit der Mädchen bürgerlichen und gemeinen Standes im Allgemeinen. Sie werden leicht dadurch aus ihrer Sphäre und Bestimmung herausgezogen, und mehr eitel als solid.“ Das klingt nicht fort- schriftlich und würde kaum für Hebel einnehmen — wäre da nicht der ganz andere Hebel, der kaum und nur ungern Politik betrieb. Und Spott über Romane lesende (nicht nur höhere) Töchter war damals weit verbreitet; Hebels Meinung erscheint da eher gemäßigt. Haue sie vielleicht damit zu tun, dass er mit Frauen wenig Glück hatte und außer der Schauspielerin Henriette Hendel nie eine kennenlernte, die ihn geistig hätte anregen können?

Dieser andere Hebel war zwar auch gläubiger Protestant und sogar bis zum Oberhaupt der Badischen Landeskirche aufgestiegen, aber alles andere als engstirnig. Er reagierte auf seine Zeit und auf die Anforderungen seines Berufs selten konservativ, als Autor und Herausgeber des „Rheinländischen Hausfreunds“ sogar derart liberal, dass er mit einer im Geiste Lessings geschriebenen Geschichte Anstoß erregte. Diesen „Hausfreund“ machte Hebel zum beliebten, mit vielen, vor allem erzählenden Texten gefütterten Volkskalender (Viel drückt das so aus: „Hebel deckte, außer dem Beauty-Ressort, alles ab, was zu einer guten Publikumszeitschrift gehört“). Der Erfolg haue freilich auch andere Gründe: Die Bürger mussten damals Kalender kaufen, sonst sperrte man sie ins Gefängnis. Helwig beleuchtet diesen Hebel und seine frische, direkte Sprache immer wieder mit verblüffenden Beispielen, so, wenn er seine Träume notiert: In einem kommt er am Palais der Markgräfin vorbei und geht in den Hof, wo „unter anderem Geflügel zwei Engel gehalten wurden, ein Männlein und ein Weiblein. Das Weiblein war schwanger.“

Vielleicht hätte man sich manchmal eine stärkere Bezugnahme auf bedeutende Texte Hebels gewünscht, vor allem auf die ihm so wichtigen und in ihrer schlichten Einfachheit großartigen „Allemannischen Gedichte“, etwas auf die wunderbaren Hexameter in der „Wiese“. Trotzdem: eine sehr gute, sehr informative Biografie mit einem Bild von Hebel, das erstaunlich viele Facetten aufweist — nicht zuletzt die von dem wenig gereisten Prälaten, der immer davon träumte, sein Leben als einfacher Dorfpfarrer zu beschließen, oder von seiner Fähigkeit zur Selbstironie, wenn er sich vorstellt, Theaterstücke mit biblischen Stoffen zu schreiben, so ein „Befreites Jerusalem“:
„Die Zuschauer schlafen vier Akte hindurch. Im fünften schlafen aus Erkenntlichkeit die Schauspieler selber ein. Dies ist der wichtigste Moment im Stücke. Der Engel des Herrn tritt in der Person des Soufleurs mit einer Heugabel hinter einer Wanne hervor, sticht die schlafenden Assyrer alle todt. Jerusalem, das heißt die Scheuer ist gerettet, der Unfug hat ein Ende; die arme theaterdurstige Seele hat Ende.“

Das Deutsch sollte schon stimmen
Dagegen fällt Bernhard Viels Biografie stark ab. Vor allem in den zitierten Texten und ihrer Übersetzung ins Hochdeutsche wimmelt es von sprach- und sinnentstellenden Fehlern (Elementarschlacht statt Elementenschlacht) und unhaltbaren Behauptungen (Jean Paul habe „schon immer niemand gelesen). Viel hat fast alles von anderen übernommen, bringt kaum neue Gesichtspunkte und schreibt leider ein argunbeholfenes, unangemessenes Deutsch.
Heide Helwig: Johann Peter Hebel. Biografie. Hanser Verlag, München. 367 5., 24,90 Euro.

Bernhard Viel: Johann Peter Hebel oder Das Glück der Vergänglichkeit. Eine Biografie. Verlag C. H. Beck, München. 296 5., 22,95 Euro.