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Presse aktuell 2010
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Stuttgarter Zeitung vom 10. Mai 2010
„Selbiges Häuslein
kauf ich alsdann“
Jubiläum Vor 250 Jahren ist der Dichter Johann Peter Hebel zur Welt gekommen. In Basel und im Wiesental wuchs er auf, und in Karlsruhe entstand sein Werk, mit dem er die südbadische Heimat der Literaturgeschichte einschrieb. Ein Besuch im Geburtshaus.
Von Julia Schröder
Totentanz 2 heißt die Adresse heute. Ein
schmales Haus von gotischem Format, die alte
Haustür öffnet sich in einen länglichen Flur, an
dessen Ende eine gewendelte Treppe ins
Untergeschoss führt. Dort ist die Stube, in der
dem Ehepaar Hebel am 10. Mai 1760 der erste und
einzige Sohn Hanspeter geboren wurde. Aus dem
Dunkel geht der Blick durch die vorgebaute,
verglaste Laube hinaus auf den besonnten Rhein
und hinüber nach Kleinbasel, wo der große Bau
der Kaserne ihn aufhält. Einstmals schweifte er
weiter — ostwärts, Richtung Wiesental.
Die Kammer im Souterrain des schmalen, hohen
Hauses am Rhein blieb nicht für lange die
Wohnung der Familie Hebel; der Vater und die
neugeborene Schwester starben an Typhus, als der
Knabe vierzehn Monate alt war, Mutter und Sohn
verbrachten die Sommer bei der Herrschaft von
Ursula Hebel auf deren Landgut vor den Toren
Basels und das Winterhalbjahr in Hausen im
Wiesental, der Heimat der Mutter. Und doch ist
hier, „am Santehansemer Schwiebbogen das zweite
Haus“, wie Johann Peter Hebel als 65-Jähriger an
die Freundin Gustave Fecht schrieb, einiges zu
erfahren über diesen Dichter — und Menschen —
des Dazwischen und des Sowohl-als-auch.
Cornelia Schefold, die heute das erstmals 1302
erwähnte Haus in der ehemaligen
St-Johanns-Vorstadt bewohnt und uns
freundlicherweise die Tür zu ihren sonst nicht
zugänglichen Privaträumen geöffnet hat, sieht
die Dinge, wie sie einmal waren: Vor dem Haus
auf der anderen Seite der damals schmalen Gasse
der Totentanz, jenes berühmte Fresko aus dem 15.
Jahrhundert auf der Mauer des Predigerkirchhofs,
die zu Hebels Kinderzeit noch stand und 1803 von
platzbedürftigen Anwohnern umgerissen wurde,
nach hinten hinaus der Blick auf den Rhein und
die Mündung des Flüsschens Wiese auf der anderen
Seite — von da aus ist es nicht weit zu den
beiden wohl bekanntesten der von Goethe und vor
allem Jean Paul gelobten „Allemannischen
Gedichte“: „Die Vergänglichkeit“ und „Die
Wiese“. In Dichtungen wie diesen, die den
Dialekt mit klassischem Versmaß verbinden, die,
geschrieben in Karlsruhe, von der südbadischen
Heimat singen, zeigt sich ein Wissen um das
Nächste, die Herkunftslandschaft, wie um das
Fernste, die Grenzen des Kosmos, das Ende der
Welt.
Dass Johann Peter Hebel noch als alter Mann, ein
Jahr vor seinem Tod, so deutlich wie im Brief an
die Jugendfreundin das Haus der frühen Kindheit
als Sehnsuchtsbild für die späten Jahre malen
konnte — „Selbiges Häuslein kauf ich alsdann um
ein paar Gulden — aber ich bin kein Burger —
also miete ich es, und gehe alle Morgen, wie
alten Leuten geziemt, in die Kirchen —‚ liegt
wohl weniger in der Erinnerung an diese frühen
Jahre begründet als in späteren Besuchen; das
Erdgeschoss des Hauses, das jahrhundertelang und
bis in die 1950-er Jahre im Besitz der
Handwerkerfamilie Riedtmann-Danzeisen war,
beherbergte während seiner wechselvollen
Geschichte immer mal wieder ein Wirtshaus, seit
1796 war dies die Weinstube Zum Kopf. Dort
kehrte Hebel ein, wenn er in Basel war. Als
Cornelia Schefold davon erzählt, stellen wir uns
gern vor, wie er über den Rand seines Glases auf
den Rhein schaute.
Auf dem Weg zwischen Basel und dem Wiesental war
es auch, dass der dreizehnjährige Hanspeter
miterleben musste, wie seine Mutter auf einem
Ochsenkarren liegend starb; die plötzlich
Erkrankte hatte dringend gewünscht, in ihr Haus
nach Hausen gebracht zu werden. Nicht zufällig
wird im Gedicht „Die Vergänglichkeit“ das
denkwürdige Gespräch über die Eitelkeit allen
Menschenwerks an ebender Stelle unterhalb des
Röttler Schlosses geführt, „zwischen Steinen und
Brombach“.
Mindestens so prägend wie das Hin und Her
zwischen Baden und der Schweiz, zwischen
Volksschule in Hausen und Gemeindeschule in
Basel war für den Heranwachsenden die Erfahrung,
„bald in einem einsamen Dorf, bald in den
vornehmen Häusern einer berühmten Stadt“ daheim
zu sein; „Da habe ich frühe gelernt, arm sein
und reich sein“, schrieb er in seiner nie
gehaltenen „Antrittsrede vor einer Landgemeinde“
von 182ü. Was er daraus gemacht hat, zeigt sich
in den Kalendergeschichten, mit denen der
Theologe, Lehrer und Kirchenreformer ebenso
deutlich wie mit den „Allemannischen Gedichten“
seine ganz eigene, eigen-sinnige Stellung in der
deutschen Literatur bezieht Der „Rheinländische
Hausfreund“, so sehr er den Vorstellungen der
Zeit von segensreichem Fürstenwirken verhaftet
ist (auch Napoleon ist für Hebel nicht der
Testamentsvollstrecker der Revolution, sondern
gütiger Vernunftherrscher), bleibt doch immer
der Wegbegleiter, Tischgenosse und unterhaltsame
Aufklärer der Meinen Leute in Rheinland,
Russland und Morgenland. In allem aber bleibt
Hebel der Dichter zwischen Totentanz und
Wiesental; das ist kein Feld für das Idyll. Zu
seinen Lebzeiten rollten die Köpfe von Königen
und Revolutionären, verheerten Kriege die
Kontinente, wurde die Ordnung Europas und damit
das Dasein jedes Einzelnen wieder und wieder
umgestülpt. Er weiß, wie nah der Tod beim Leben
baust und dass unsere schöne Welt umgeben ist
vom schwarzen, kalten, stillen All, dessen
Jenseits wir nicht kennen. Wir sehen den
Abendstern blinken — Hebel, und das
unterscheidet ihn dann doch von den Modernen,
kann sehen, wie der „Obestern“ als „Büebli“
seiner Mutter, der Sonne hinterhertrippelt, vom
Schwarzwald im Osten bis zum „Elsis“ im Westen —
wenn man vom Haus Totentanz 2 in Basel aus
schaut.
AUS DEM SCHATZKÄSTLEIN DES RHEINISCHEN
HAUSFREUNDS
Leben
Johann Peter Hebel, geboren am 10, Mai 1760,
arbeitete nach dem Studium in Erlangen als
Lehrerin Lörrach und Karlsruhe, wurde Kirchenrat
später Prälat der Landeskirche in Baden und
Mitglied der Ersten Kammer des Landtags. Er
starb am 23. September 1826 in Schwetzingen.
Werk
Bekannt ist Hebel vor allem für die „Allemannischen
Gedichte“ (erste Ausgabe 1603) und für die
Kalendergeschichten, die er im ‚Rheinländischen
Hausfreund“ veröffentlichte, den er von 1B07 an
herausgab. Eine Auswahl erschien 1B11 als
„Schatzkästlein des rheinischen Hausfreunds“.
Wirkung
Jean Paul schrieb, über Hebels Gedichten liege
„das Abendroth einer schönen friedlichen Seele“.
Im „Schatzkästlein“ sah Walter Benjamin „eines
der lautersten Werke deutscher Prosa-Gold-Schmiederei“,
und Ernst Bloch fand darin schlicht „die
schönste Geschichte von der Welt“.
jus
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