Presse aktuell 2010


 
BZ vom 10.07.2010

Durchaus auch eine dunkle und makabre Seite

Neue Hebel-Biografie

Von unserer Mitarbeiterin Jutta Schütz

SCHLIENGEN. Amüsant, informativ und für viele auch überraschend war der Vortrag von Bernhard Viel, der am Donnerstag seine neue Biografie "Johann Peter Hebel oder das Glück der Vergänglichkeit" in einem nahezu voll besetzten Bildersaal auf Bürgeln vorstellte. Ein symbolischer Ort, wie Schlossdirektor Ehrenfried Kluckert in seiner kurzen Begrüßungsansprache feststellte. Denn Bürgeln verbinden viele Markgräfler direkt mit dem Dichter. "Hebel ist eine zentrale Figur dafür, wie man Themen für jedermann verständlich und interessant macht", meinte Andrea Brill, PR-Beraterin von Viels.

Dass der frühe Tod der Mutter lebenslang Einfluss auf Hebel und sein Lebenswerk hat, ist eine von Viels Thesen: Eine andere ist, dass Hebel deshalb so anschaulich, spannend und verständlich schreiben konnte, weil er insbesondere durch seine Hauslehrerzeit bei Pfarrer Schlotterbeck in Hertingen Kindern Naturwissenschaften, Religion und Literatur auf einfache Weise erklären musste. Hebel wollte das Bildungsbürgertum und auch die einfachen Leute erreichen. Das habe er durch seine Kalendergeschichten und die Umgestaltung des biederen "Badischen Hauskalenders" zum lesbaren und informativen "Rheinländischen Hausfreund" als eine Art neues Bildungsmedium geschafft. "Eine Leistung, die aus journalistischer Sicht noch heute revolutionär ist", meinte Viel. Die religiös geprägte Haltung Hebels gab ihm auch die Möglichkeit, genaue wissenschaftliche Betrachtungen an Insekten oder Amphibien anzustellen, die von "Normalbürgern" damals als weitgehend unnütz verworfen wurden. "Hebel hat sich mit Naturwissenschaften gezielt auseinandergesetzt, hat versucht, sie verständlich weiterzuvermitteln, hat sich die ganzheitliche Ordnung der Welt aus der Natur selbst erschlossen", meinte Viel.

Dass Hebel nicht nur ein "Schunkelpoet" (Viel) ist, sondern durchaus eine dunkle oder makabre Seite hat, war für viele im Publikum neu. Denn Hebel kann durchaus einen Mord als fast lakonische, sachliche Beobachtung darstellen, wie in einer Geschichte über einen ermordeten Metzger und ein getötetes Kind, die im Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes unter dem Titel "Wie eine gräuliche Geschichte durch einen gemeinen Metzgerhund ist an das Tageslicht gebracht worden" erschienen ist. "Da sträuben sich einem die Haare — so wie Hebel die Morde schildert, könnte es heute kein Boulevardblatt besser", meinte Viel. Spätestens diese Schilderung relativiert auch die Einordnung von Hebel als eher romantisch angehauchtem Poeten. Die früh verstorbene Mutter bleibt unsichtbarer Begleiter Hebels — und das ein Leben lang, ist Viel überzeugt. Vielleicht sei die bekannte Kalendergeschichte "Ein unverhofftes Wiedersehen" eine Art Parabel auf die perfekte Liebe, so wie die Hebels zu seiner Mutter, die nie durch viele Jahre eines wirklichen Zusammenlebens abgestumpft sei, überlegt Viel.