|
Presse aktuell 2010
|
Die Welt vom 08.05.10
Genie im Abseits
pdf zum Download
Neuerscheinungen anlässlich des 250. Geburtstages von Johann Peter Hebel zeigen den badischen Autor als Aufklärer und politisch engagierten Bürger
von Hansgeorg Schmidt-Bergmann
Die 'reine' Humanität der Aufklärung hat bei
Hebel sich mit Humor gesättigt", schreibt Walter
Benjamin 1926 anlässlich des 100. Todestages
eines "der größten Moralisten aller Zeiten". Das
dessen Werk ein breiteres Leserpublikum verdient
habe, betonte nicht allein der Kritiker und
Literaturtheoretiker, sondern mit ihm in der
Weimarer Republik ebenso der Philosoph Ernst
Bloch - und aus einem ganz anderen Blickwinkel
auch Martin Heidegger.
Am 10. Mai 1760 in Basel geboren, im Süden
Badens aufgewachsen, als Theologe und Pädagoge
hoch angesehen und am Hofe der badischen
Residenzstadt Karlsruhe ein gesuchter
Gesprächspartner des Markgrafen, war der
Verfasser vom "Schatzkästlein des rheinischen
Hausfreundes", seinem berühmtesten Werk, als
Autor zu Lebzeiten stets gefragt und
ausgesprochen populär. Seine Kalendergeschichten
"Kannitverstan" und "Unverhofftes Wiedersehen"
gehören auch heute noch zur Schullektüre -
zumindest in einem anspruchsvollen
Deutschunterricht.
"Der Verfasser dieser Gedichte ist im Begriff,
sich einen Platz auf dem deutschen Parnass zu
erwerben", staunte Johann Wolfgang von Goethe
bei Erscheinen von Hebels Erstling, den
"Alemannischen Gedichten". Und die ebenso
begeisterte Rezension von Jean Paul, das Lob von
Ludwig Tieck und Johann Georg Jacobi zeigten dem
jungen Schriftsteller, dass er verstanden wurde.
Die erste Auflage von 1200 Exemplaren war noch
im Erscheinungsjahr vergriffen. Mit diesen "Alemanischen
Gedichten" wollte Hebel das "Volk" erreichen, er
wollte es teilhaben lassen am Prozess der
Aufklärung aller Lebensbereiche, der ganz
praktischen wie auch der theologischen. Sein
Ziel war es auch, dem, was er das Volk nannte,
"das Wahre, Gute und Schöne mit den heimischen
und vertrauten Bildern" zu vermitteln, wie er
1803 in der Vorrede zur Erstausgabe seiner
Gedichtsammlung betonte. Doch die Rezeption
seiner Schriften im neunzehnten Jahrhundert hat
das Aufklärerische seines literarischen und
theologischen Werkes weitgehend eliminiert.
"Aber kennt man Johann Peter Hebel wirklich",
fragt Franz Littmann in seiner Biografie, der er
den Titel gab "Johann Peter Hebel. Humanität und
Lebensklugheit für jedermann" - und fragt so zu
Recht. Der Philosoph und Pädagoge, einer der
besten Hebel-Kenner, verfolgt die Entwicklung
des Theologen, Schriftstellers und
"menschenfreundlichen Spätaufklärers". Gestützt
auf neue Materialien, den bisher
unveröffentlichten "Excerptheften", in denen der
junge Theologe zwischen 1780 und 1803 seine
Lektüren und wissenschaftlichen Quellen notierte
und kommentierte - und die ab dem 19. Mai in
Auszügen erstmals in der Badischen
Landesbibliothek in Karlsruhe gezeigt werden -
verändert sich der Blick auf das theologische
und philosophische Denken Hebels radikal.
Bereits während des Studiums in Erlangen kam der
Student mit den Vertretern der sogenannten "Neologie"
in Berührung, einer aufklärerischen
theologischen Schule, die zum "Selberdenken"
anregen, sowie Vernunft und Religion aussöhnen
wollte. Der Zeitgenosse der Aufklärung, der
Klassik und der frühen und späten Romantik zeigt
sich von nun an als Theoretiker, der im
Angesicht der französischen Revolution und ihres
Vollstreckers Napoleon eine Neubestimmung
gesellschaftlicher Identität am Beginn der
Moderne suchte.
Beispielhaft dafür ist die Kalendergeschichte
"Unverhofftes Wiedersehen". In wenigen Sätzen
lässt Hebel hier die umwälzenden Ereignisse in
Europa zwischen 1760 und 1810 Revue passieren.
Die um ihren in einem Bergwerk verschütteten
Geliebten trauernde Braut bleibt dem
Verunglückten bis zu ihrem Lebensende treu:
"Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in
Portugal zerstört, und der siebenjährige Krieg
ging vorüber... Napoleon eroberte Preußen, und
die Engländer bombardierten Kopenhagen, und die
Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller
mahlte, und die Schmiede hämmerte..."
Es ist nicht die "Gesinnung" des Historikers,
kommentiert Walter Benjamin, die "uns aus diesen
Sätzen entgegentritt, sondern die des
Chronisten", der als "Hausfreund" zu seinen
Lesern spricht. Dies war mit ein Grund, warum
man Johann Peter Hebel 1807 mit der Redaktion
des jährlich erscheinenden badischen
"Landkalenders" betraute, dem er den Titel
"Rheinländischer Hausfreund" gab und dessen
Auflage er schnell auf 50 000 Exemplare steigern
konnte.
"Ich habe noch jeden Articel selber bearbeitet",
schreibt der Herausgeber später, "und so leicht
alles hingegossen scheint, so gehört bekanntlich
viel mehr dazu, etwas zu schreiben." Seine
"Kalendergeschichten" sind daher stilbildend bis
heute. Nach Bertolt Brecht, Franz Kafka und
Elias Canetti berufen sich heute Botho Strauß,
José F. Oliver, Karl-Heinz Ott und Arnold
Stadler, der diesjährige "Hebel-Preisträger des
Landes Baden-Württemberg", auf das erzählerische
Werk des "Kalendermannes".
Wie sie fragt auch Franz Littmann nach dem
ethischen Programm und der Aktualität des
literarischen Werkes von Hebel. Es sind die
existenziellen Fragen, die wir ans Leben
stellen, die für diesen Schriftsteller
einnehmen. Wie gehen wir mit Zeit um, in einer
Welt der absoluten Beschleunigung? Wie begegnen
wir der eigenen Vergänglichkeit, die Hebel
seinen Lesern immer wieder vor Augen gestellt
hat, als ein memento mori, vor dem
vermeintlicher Reichtum und Eitelkeit sich
verflüchtigen? Hebel erkannte früh, dass die
Säkularisierung und Entzauberung der Welt durch
die neuzeitliche Wissenschaften notwendigerweise
Leere und Unbehagen hervorrufen. In der
"Weisheit der Natur" sah er ebenso eine
Alternative wie in den Lehren der Volkssagen,
die er in seinen "Alemannischen Gedichten" und
Kalendergeschichten gleichermaßen zum Sprechen
bringt.
Bereits die ersten literarischen Zeugnisse,
seine als Schüler auf Lateinisch gehaltenen
Reden, die jetzt erstmals in deutscher
Übertragung gedruckt in dem Band "Facetten der
Aufklärung in Baden" vorliegen, zeigen die
Anfänge seines spezifisch ethischen Denkens, das
sich aus den verschiedensten Quellen, von der
antiken Stoa bis zur Philosophie der Aufklärung,
speist. "Weniger glückliche Umstände können
leicht Argwohn erregen", die "Quellen und
Grundlagen der Wahrheit" und "geistige
Fruchtbarkeit und Frohsinn", das sind Themen,
die noch in den späten "Kalendergeschichten" und
"Biblischen Geschichten" wiederkehren.
Der Kommentar des Heidelberger Germanisten
Wilhelm Kühlmann geht über Hebels frühe
literarische Stilübungen weit hinaus, die
Geschichte einer aufgeklärten und emanzipativen
Pädagogik scheint auf, in der die humanistischen
Wurzeln europäischer Identität zu dem zentralen
Wissensgut gehören und die sich Hebels
literarischem wie theologischem Werk
eingeschrieben haben.
Mit Blick auf Benjamin und Bloch beginnt
Bernhard Viel seine Biografie "Johann Peter
Hebel oder Das Glück der Vergänglichkeit". Er
erinnert an Benjamins Diktum: "Dass Hebel nicht
imstande war, Großes, Wichtiges anders zu sagen
und zu denken als uneigentlich - diese Stärke
seiner Geschichten macht in seinem Leben das
Planlose und Schwache." In dem frühen Tod der
Mutter, die verstarb, als Hebel gerade dreizehn
Jahre alt war, sieht der Autor ein nie
überwundenes Trauma, das in dem Gedicht "Die
Vergänglichkeit" zum Thema wird. In dem Dialog
zwischen Vater und Sohn über die Endlichkeit,
ein Gespräch, das Hebel selbst versagt blieb, da
er den Vater nicht kennengelernt hat, wird eine
Legitimation für die notwendige Endlichkeit
alles Bestehenden formuliert - wer im Einklang
mit der All-Natur leben will, muss sich dem
Weltlauf fügen.
Auf den Versuch einer gelebten Harmonie mit dem
Weltganzen, das ein Werden und Vergehen
impliziert, wird Hebel immer wieder Bezug
nehmen. Es sind die "Zwiespältigkeit und
Gebrochenheit", die bestimmend für ein Denken
werden, das sich immer wieder neu zu definieren
sucht. Über seine Kindheit schreibt Hebel: "Ich
bin von armen, aber frommen Eltern geboren, habe
die Hälfte der Zeit in meiner Kindheit bald in
einem einsamen Dorf, bald in den vornehmsten
Häusern einer berühmten Stadt zugebracht. Da
habe ich früh gelernt, arm zu sein und reich zu
sein. Wiewohl, ich bin nie reich gewesen."
Plastisch wird der biografische und
historisch-soziale Kontext des 18. Jahrhunderts
durch die Biografien der Eltern. Die Mutter war
Magd in einer wohlhabenden Baseler Familie, der
Vater Diener, der den Ratsherren Major Johann
Jakob Iselin auf zahlreichen Feldzügen
begleitete und 1761 an Typhus starb. Auf das
Werk bezogen, bleibt die Biografie von Bernhard
Viel jedoch einiges schuldig. Nicht nur
zahlreiche Verkürzungen, ungenaue Quellenangaben
und Namensnennungen sind zu monieren, auch
fragwürdige Vergleiche und Verweise auf
vermeintliche "Vorgänger", wie den schwäbischen
Mundartdichter Sebastian Sailer, was reine
Vermutung bleibt. Zentrale Figuren, die für
Johann Peter Hebel wichtig gewesen sind, fehlen
dagegen, etwa Moses Mendelsohn, mit dessen
philosophischen und theologischen Positionen
sich bereits der junge Theologe intensiv
auseinander setzte. Seine Verehrung zeigt sich
noch spät in einer kleinen Kalendergeschichte.
Theodor W. Adorno hat zu Recht darauf
hingewiesen, dass Hebel zudem eines "der
schönsten
Prosastücke zur Verteidigung der Juden" in
deutscher Sprache geschrieben habe. Gemeint ist
das "Sendschreiben" unter dem Titel "Die Juden",
zugleich ein Beispiel für Hebels modernes
Religionsverständnis und seine Rolle als
Kirchenpolitiker, die hier auf lediglich drei
Seiten abgehandelt wird.
Dass der jüdische Kalender selbstverständlicher
Bestandteil in Hebels "Rheinländischer
Hausfreund" gewesen ist, darauf verweist Heide
Helwig in ihrem Beitrag zum Jubiläumsjahr, der
bei Hanser in München erschienen ist. Die
vielschichtigen Bezüge zu den zeitgenössischen
Diskussionen über die Stellung der Juden in
Hebels Werken und Wirken, gerade auch im
Anschluss an die von Napoleon durchgesetzten
Reformen, zeigen nach Meinung der Autorin
nachdrücklich Hebels Bemühen, den Religionen
ihre natürliche Legitimation einzuräumen. Als
Prälat der Evangelischen Landeskirche, und damit
dem heutigen Landesbischof vergleichbar, war
Hebel nach dem Wiener Kongress in seinen letzten
Lebensjahren auch politisch stark gefordert.
Dies zeigt Helwigs gelungene Verknüpfung von
"innerer" und "äußerer" Biografie. Sie ist
vorbildlich bemüht um die politisch-historische
Kontextualisierung des literarischen Werkes
ihres Helden. Dessen Lebenszeit war bekanntlich
aufregend und umwälzend. Zwischen 1803, dem Jahr
der Erstveröffentlichung der "Alemannischen
Gedichte", und Hebels Tod auf einer Dienstreise
1826 veränderte Europa sein Gesicht wie nur
selten in einem solch kurzen Zeitraum.
Heide Helwig gelingt es in ihrer Biografie
außerdem überzeugend, den persönlichen Lebens-
und Bildungsweg aus den Briefen, "die das Werk
umrahmen und erläutern", zu rekonstruieren und
Hebel als einen Autor zu zeigen, dessen
"geistige Weite" erst noch zu entdecken ist.
"Genie kann auch im Abseits gedeihen, große
Dichtung in unauffälligen Residenzstädten",
folgert Heide Helwig. Und als Fazit heißt es bei
ihr: "Hebels Oeuvre ist schmal geblieben und
steht doch mit den beiden so unterschiedlichen
Hauptstücken, den ,Alemannischen Gedichten' und
dem ,Rheinländischen Hausfreund',
unverwechselbar da." Das kann man nur
unterstreichen oder allenfalls noch Walter
Benjamins Bemerkung anführen: "Nicht umsonst war
das ,Schatzkästlein' ein Lieblingsbuch von Franz
Kafka".
"Es sieht so aus, als würde die Weltzeit die
individuelle Lebenszeit verschlingen, als käme
es nicht mehr auf sie an. Aber es kommt auf sie
an", schreibt Rüdiger Safranski einmal mit Blick
auf Hebel. Es ist dieser Moralist der
Aufklärung, den man wieder schätzen lernen
sollte, einen Autor, der immer wieder darin
erinnert, dass für den Einzelnen eine "erfüllte
Zeit" möglich ist, gerade angesichts
globalisierter Beschleunigung, wenn man sich des
Äußeren entledigt und sich konzentriert auf
Freude, Liebe, Zufriedenheit, Gelassenheit und
ein Denken, das die eigene Vergänglichkeit
konstruktiv und ohne Angst reflektiert.
Franz Littmann:
Johann Peter Hebel. Humanität und Lebensklugheit
für jedermann. Sutton, Erfurt. 126 S., 14,90
Euro.
Wilhelm Kühlmann: Facetten der Aufklärung in
Baden. Johann Peter Hebel und die Karlsruher
Lateinische Gesellschaft. Rombach, Freiburg. 164
S., 19,80 Euro.
Bernhard Viel: Johann Peter Hebel C.H. Beck,
München. 296 S., 19,80 Euro.
Heide Helwig: Johann Peter Hebel. Hanser,
München. 337 S., 22,90 Euro
|
|
|
|