Presse aktuell 2010


 
Der Sonntag vom 27. Juni 2010

Dicht am Dichter

Johann Peter HEBEL von (fast) allen Seiten: Eine aktuelle Bücherschau

Jubiläen könnten von Verlegern erfunden sein, zumindest sind sie eine Freude für sie. Das gilt wohl auch für JohannPeterHebels250. Geburtstag, zu dem sich einige an Biografien versucht haben. Der Blick über Neuerscheinungen beendet unsere fünfteilige Serie.

RENÉ ZIPPERLEN

Zwei größere neue Biografien sind in diesem Jahr erschienen; den gewichtigeren Auftakt macht die Österreicherin Heide Helwig, die an einigen Punkten mit Ruhe klassische Urteile über Wendepunkte in Hebels Leben im Licht der Fakten befragt und zulässt, oft nicht zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen.

Das Verfahren ist erprobt und gut, zementiert nichts Falsches fort und relativiert an mancher Stelle (wollte Hebel doch noch Mediziner werden? Wir sehr behagte ihm der Schuldienst?).

Mitunter gerät sie selbst ins Spekulieren, denn Problem aller Biografien bleibt die unbefriedigende Materiallage (verschollene oder vernichtete Briefe und Dokumente). Helwig zeigt sich aber als gute und lebhafte Erzählerin, die ihr Sujet nicht in eine These zwängt. Die unchronologische Anordnung lässt das Buch aber etwas in Einzelaufsätze zerfallen und setzt manches voraus, was erst später erzählt wird.

> HEIDE HELWIG Johann Peter Hebel.
Hanser 24,90 Euro. (…)


„Das Glück der Vergänglichkeit“ nennt Bernhard Viel seine Hebel-Biografie. Besonders achtsam arbeitet er darin die Kindheit und Jugend des Schriftstellers und Kirchenmannes heraus, die er so als prägende Folie für den weiteren Verlauf dieses an ungelösten Widersprüchen reichen Lebens ausbreitet – ohne in jedem Punkt gleich tief einzusteigen.

So bleibt der dramatisch nacherzählte frühe Tod der Mutter das große Trauma, das auch Viel benutzt, um– selbst wenn er sich vor der expliziten Aussage drückt – zu erklären, warum Hebel bei aller Schärfe und allem Ehrgeiz ein so zögerlicher und oft vorsichtiger Mensch war. Andere Rätsel aus Hebels Leben (etwa die Beziehung zu Henriette Hendel) referiert er mehr als dass er sie zu ergründen sucht.

Oftmals enden die kurzen Kapitel des gut geschriebenen Werkes ein wenig zu früh, besonders in den theologischen Teilen. Ins Zentrum des dichterischen Werkes setzt Viel ausführliche Interpretationen der Klassiker „Die Weise“ und „Unverhofftes Wiedersehen“.

Vielleicht hätte eine weniger gradlinige Textwahl mehr Unerwartetes hervorschürfen lassen. Dass das Buch aber eine gute Einführung ist, liegt daran, dass Viels von Hebel abgeleiteter Anspruch, ein knappes, lesbares und gut verständliches Buch zu schreiben, gut aufgegangen ist.

> BERNHARD VIEL
„Johann Peter Hebel oder das Glück der Vergänglichkeit.“

C. H. Beck, 22,95 Euro. (…)


Knapper fasst sich der Theologe Ralph Ludwig. Obwohl sein Buch „Der Erzähler“ heißt, streift es alle Lebensstationen Hebels und zeigt den Dichter, Pädagogen und Theologen vor allem in seinen bekannten Facetten.

Herausgekommen ist eine Einführung, die Werkanalysen ebenso wenig Raumgeben kann wie einemordentlichen Anmerkungsapparat.

Dem Theologen Hebel widmet Ludwig recht breiten Raum, stellt manches Urteil in Frage, ohne selbst eine neue Position zu erreichen. Das mag auch die aufsatzhafte Kürze der Kapitel verhindert haben, große argumentative Bögen sind da nicht drin.

> RALPH LUDWIG „Der Erzähler.
Wie Johann Peter Hebel ein literarisches Schatzkästlein schuf.“

Wichern- Verlag, 9,95 Euro.


Der Silberburg Verlag in Tübingen und Lahr ist ein Spezialist für Kultur im Land. Für die Reihe „Mit XY von Ort zu Ort“ hat Er nun den Historikerund einstigen Tübinger Kulturamtsleiter Wilfried Setzler auf Hebel angesetzt.

Der war auch schon auf Schillers Lebensstationen unterwegs, löst seine Aufgabe auch hier solide. Überraschend neue Thesen zu Hebel wird man hier nicht finden, aber der schöne Schmökerband liefert eine ordentliche Biografie, viele zeitgenössische Illustrationen und oft faktenreiche historische Einführungen zu den Städten und Orten, an denen Hebel lebte. Das Verhältnis zu diesen Orten erkundet Setzler selten in besonderer Tiefe – und auf dem Belchen etwa war er garnicht. Etwas überraschend seine Beschreibung der Hebel-Ausstellung im Lörracher Museum am Burghof, die wohl früher endet als sein Buch manchen Käufer erreicht – er sähe sie jedenfalls gerne als Dauerausstellung.

> WILFRIED SETZLER „Mit Johann Peter Hebel von Ort zu Ort“,
Silberburg, 22,90 Euro.



Wer mehr zu der Ausstellung Im Lörracher Museum am Burghof erfahren will, kann zum elften Band der „Lörracher Hefte“ greifen. Der damit vorgelegte Katalog enthält neben einer Einführung in die Hebel-Gedenkstätte im alten Pädagogium und einer Beschreibung der interaktiven Stationen der Ausstellung einen kompletten Rundgang mit allen Texten, die der Karlsruher Hebelkenner Franz Littmann für die Schautafeln des Museums verfasst hat. Mehr zu dessen Hebelbild wiederum bietet seine konzentrierte, 2008 im Sutton Verlag erschienene Biografie. Darin beschreibt er Hebel als einen Aufklärer des Volkes, der zu Eigenem Denken und Urteil hinführen will.

> JOHANN PETER HEBEL Bewegtes Leben, bewegter Geist.
Lörracher Hefte 11, Verlag Waldemar Lutz.



Was Hebel heute bedeutet, dem ist die Basler Hebelstiftung nachgegangen und hat vier Erzählungen in Comics übertragen und achtweitere illustrieren lassen.

Parsua Bashi und Markus Kirchhofer aktualisieren Hebel vorsichtig, künstlerisch fast konservativ: Hebel selbst tritt als Erzählerfigur in Originalsprache auf, der Comic ist zeitgenössisch betextet. Und während das „Unverhoffte Wiedersehen“ zwar etwas plastisch darauf verzichtet, die spannenden Leerstellen bildlich zu füllen und doch berühren kann, gerät „Das letzte Wort“ mutiger und eindringlicher.

Bei den Illustrationen ist nicht immer ein echter Mehrwert gegeben, doch ragen die surreal inszenierten „Fliegende Fische“ humorvoll heraus; eindrucksvoll trostlos aber ist Konrad Becks „Der unschuldig Gehenkte“, in dem aus Kinderspiel tödlicher Ernstwird.

> KALENDERGESCHICHTEN IN COMICS & ILLUSTRATIONEN.
Schwabe, 17,50 Euro.


Wer sich mit Hebels Leben beschäftigt, bekommt vielleicht auch wieder Hunger nach dem Werk, und da legt dtv einen Günstigen und hochkarätig bearbeiteten Band vor: Sämtliche Erzählungen, die Hebel im „Rheinländischen Hausfreund“ veröffentlicht hat, auf 847 Seiten: wissenschaftlich akribisch aufbereitet (von Hannelore Schlaffer und Harald Zils), auf 80 Seiten sehr kenntnisund hilfreich kommentiert, dazugibt es ein großes Nachwort und viele Illustrationen auf gutem Papier. Ein neu aufgelegtes Hausbuch.

> DIE KALENDERGESCHICHTEN
Sämtliche Erzählungen aus dem Rheinländischen Hausfreund.

dtv, 14,90 Euro
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