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Presse aktuell 2010
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Die Oberbadische vom 23.6.10
Wortkunst mit doppeltem Boden
Die österreichische Autorin Heide Helwig stellt am Sonntag ihre neue Hebel-Biografie in Lörrach vor
Lörrach. Pünktlich zum Hebel- Jubiläum ist eine
neue, aufwändig recherchierte Hebel-Biografie
erschienen. Die österreichische Schriftstellerin
Heide Helwig wird diese am 27. Juni auf
Einladung des Hebelbunds in Lörrach vorstellen.
Unsere Kulturredakteurin Gabriele Hauger
unterhielt sich im Vorfeld mit der Autorin.
Frau Helwig, wann ist
Ihnen als Österreicherin Hebel erstmals
begegnet?
Hebel ist in den österreichischen Schulbüchern
ebenso präsent wie vermutlich in den deutschen.
Da gibt es Geschichten wie „Kannitverstan“,
„Unverhofftes Wiedersehen“ oder „Seltsamer
Spazierritt“ - die haben sich gehalten, ohne
dass der Person des Autors viel Beachtung
geschenkt wird.
Wie kamen Sie dazu,
eine Hebel-Biografie zu schreiben?
Die Beschäftigung mit Hebel hat nach der
Schulzeit erst mal vor sich hin geschlummert.
Der Anstoß zur Biografie kam vor einigen Jahren,
von Hebel-Kennern, die meinten: „Das wäre doch
was!“ Ich habe mich dann Schritt für Schritt mit
den alemannischen Gedichten vertraut gemacht.
Was gar nicht so leicht ist, wenn man die
Mundart nicht beherrscht. Dann kamen die
Kalendergeschichten und die Briefe dran, die ja
eine wichtige Rolle spielen. Da habe ich schnell
Feuer gefangen.
Was fasziniert Sie an
Hebel?
Zunächst mal seine unglaubliche
Formulierungskunst. Wenn man die
Kalendergeschichten zum ersten Mal liest, glaubt
man schnell zu wissen, worauf Hebel hinaus will.
Wenn man sich aber intensiver damit
auseinandersetzt, erkennt man oft eine Art
doppelten Boden. Die Geschichten lassen sich auf
die unterschiedlichsten Situationen übertragen.
Das gefällt mir sehr. Außerdem beeindruckt mich
Hebels präzise und zugleich bildhafte Sprache,
seine Fähigkeit, Dinge auf den Punkt zu bringen.
Das funktioniert heute noch und spricht den
Leser an.
Hebel ist also
modern?
Ja, unbedingt. Er ist schlicht und raffiniert in
einem, ohne falsches Pathos. Modern sind auch
sein Hu-
IM GESPRÄCH
MIT Heide Helwig, Autorin
mor und seine Anleitung zum Selberdenken. Er
will den Menschen die Aufklärung nicht
überstülpen, sondern sie dahin bringen, dass sie
lernen, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen.
Haben Sie nach
so viel Hebel-Studium eine Lieblingsgeschichte?
Oh, da gibt es viele. Für mich entdeckt habe ich
beispielsweise die Geschichte mit der willigen
Rechtspflege, wo nicht Recht gesprochen, sondern
nur jedem Recht gegeben wird. Vor kurzem
nachgelesen habe ich auch die Geschichte, in der
drei Männer heiß darüber diskutieren, warum sie
nicht miteinander reden. Wenn man sich so
einliest, entdeckt man immer wieder etwas Neues.
Wie lange haben
Sie recherchiert? Haben Sie auch die
Hebel-Wirkungsorte aufgesucht?
Ich habe sehr lange, an die sieben Jahre,
Quellen studiert und recherchiert. In einer
ersten Runde war ich in Karlsruhe im
Generallandesarchiv und der Badischen
Landesbibliothek. Da gibt es noch einige relativ
unerforschte Konvolute. Und ich habe eine
Hebel-Gedächtnisreise gemacht. Ich war in Basel
in Hebels Geburtshaus, natürlich in Hausen, aber
auch in Lörrach und auf dem Belchen. Es war mir
wichtig, dort zu stehen, wo Hebel gestanden ist,
zu sehen, was in seinem Denken und seiner Welt
eine wichtige Rolle eingenommen hat.
Es ist
schwierig, einer historischen Person Leben
einzuhauchen. Wie haben Sie sich Hebel
angenähert?
Am besten konnte ich ihm über seine Briefe näher
kommen. Er schreibt ja generell nicht viel über
sich, es gibt kaum zusammenhängendes
autobiografisches Material, da Hebel so
bescheiden war und sich selbst zurückgenommen
hat. In den Briefen aber gibt es einige
Episoden, die viel über den Menschen Hebel
verraten. Interessant sind auch seine Träume,
die etwas Surrealistisches haben, aber einiges
über ihn aussagen. Es gibt immer ein paar Türen,
durch die man eintreten kann: Da ist zum
Beispiel in seinem Berufsleben das durchaus
heutige Leiden an der Monotonie, über das er
sich mit der Sehnsucht nach einer Landpfarrei
tröstete.
Erläutern Sie
uns den Aufbau der Biografie.
Sie ist nicht chronologisch. Hebels Leben
verlief ja relativ unspektakulär mit wenig
äußerlicher Veränderung. Deshalb erschien es mir
logisch, die Biografie in Themenkreise
aufzugliedern, die Hebels geistige Welt
widerspiegeln. Biografische Kapitel im engeren
Sinne gibt es nur zwei: das Leben vor und in
Karlsruhe, wo sein beruflicher Aufstieg beginnt
und er als Dichter zu Berühmtheit gelangt.
Richtet sich Ihr
Buch eher an Hebel-Kenner?
Ich habe sehr schöne Rückmeldungen von
Hebel-Kennern bekommen, die sich über die
gründliche Recherche lobend geäußert haben. Auch
Leser, die Hebel nicht kannten, schreiben mir,
dass sie die Biografie gerne gelesen haben und
spannend fanden. Es gibt aber auch welche, die
der nicht-chronologische Aufbau irritiert hat.
Wie wichtig war
Ihnen die Einbettung Hebels ins Zeitgeschehen?
Die Person entsteht im Dialog mit der Zeit, da
ist Zum Beispiel Hebels Beschäftigung mit
Naturwissenschaften. Es ist faszinierend, was
sich auf diesem Gebiet damals getan hat: die
Entdeckungen, die Bergbesteigungen, das alles
hat Hebel sehr interessiert. Die Bewegungen
Aufklärung, Klassik, Romantik sind natürlich
prägend: Für mich kam die Erkenntnis, dass Hebel
da und dort, aber nirgendwo ausschließlich
Zuhause war.
Wo schätzen Sie
Hebel am meisten: als Dichter, Erzähler,
Pädagoge, Aufklärer?
Als Dichter, wenn man vor allem mit der Zeit den
Reiz und den Klang des Dialekts spürt. Ich
glaube, er war auch ein ganz hervorragender
Pädagoge, sonst hätte er nie seine Geschichten
so schreiben können. Er wusste genau, wo er
ansetzen muss: Erst hat er die Menschen
geschickt neugierig gemacht, um sie dann
vorsichtig zu belehren.
Wird der
Hebel-Boom dauerhafte Spuren in der Rezeption
hinterlassen?
Ich hoffe das und würde mir wünschen, dass man
wieder zu den Kalendergeschichten greift und
entdeckt, was für eine anregende und
unterhaltsame Lektüre das ist.
Heide Helwig
liest am Sonntag, 27. Juni, 11 Uhr, im Museum am
Burghof in Lörrach aus ihrer Biografie „Johann
Peter Hebel“, Hanser Verlag, 368 Seiten
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