Presse aktuell 2010


 
BZ vom 21.06.2010

Aktuell und mit spitzem Humor

Alemannische Nächte

Von unserer Mitarbeiterin Bianca Flier

BAD BELLINGEN. Gleich zwei Alemannische Nächte, das gab es bei den Mundarttagen in Bad Bellingen. Zahlreiche Freunde der alemannischen Mundart kamen am Freitag und am Samstag im Schlosskeller auf ihre Kosten. Das Programm gestaltete eine handverlesene Auswahl von Mundartkünstlern aus der Schweiz, dem Elsass und dem südbadischen Raum.

In seiner Begrüßung forderte Bürgermeister Christoph Hoffmann dazu auf, das Motto "MundArt" wörtlich zu nehmen. Natürlich sei die Veranstaltung auch eine Hommage zum 250. Geburtstag von Johann Peter Hebel. Dass die Mundart in Südbaden nicht so selbstbewusst gesprochen werde wie in der Schweiz, halte er, so Hoffmann, unter anderem für historisch bedingt, durch die politische Niederlage Badens gegenüber Preußen.

Das Programm der ersten Alemannischen Nacht am Freitag eröffnete Karl Heinz Vogt, Altbürgermeister von Hausen im Wiesental, mit einem biographischen Abriss des Lebens von Johann Peter Hebel. Neben den bekannten Details erwähnte Vogt auch weniger Geläufiges. Zum Beispiel, dass Hebel im Gegensatz zu vielen seiner dichtenden Zeitgenossen ein Gegner des Antisemitismus war und öffentlich die Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger kritisierte. Vogt schilderte den Dichter aber auch als einen lebensfrohen Menschen, der gerne sein "Pfiffli" rauchte, sein Viertele trank, einem Kartenspiel nicht abgeneigt war und sogar ab und ins Baden Badener Spielcasino ging. Sein Herzenswunsch, nach seiner Pensionierung jeden Sonntag elf alte Männer aus seiner Heimatgemeinde Hausen zu einem Mahl einzuladen, ging nicht in Erfüllung, da Hebel vorher starb und sein Vermögen durch eine Wirtschaftskrise eingebüßt hatte. Die Stadt Basel hat diese Idee dann später aufgegriffen: Bis heute gibt es die Speisung der alten Männer, aber nur einmal jährlich.

Den Faden dieses Vortrags, der Hebels Leben in ein neues, sehr aktuelles Licht rückte, nahmen die Beiträge des alemannischen Liedersängers Karl Streicher und des Dichters Markus Manfred Jung auf. Streicher stellte Lieder des Berner Chansonniers Manni Matter vor, wobei er es ausgezeichnet verstand, den Hörern Matters Humor und subtile Lebensphilosophie nahe zu bringen. Lieder wie das vom Maler, der eine Kuh ins Bild setzen will, die aber davon läuft, während er noch mit dem Hintergrund beschäftigt ist, brachten die Leute zum Schmunzeln. Bezeichnend für Matters feine Ironie ist aber auch das Lied von den menschlichen Hemmungen, die manchmal ein Glücksfall für die Menschheit sind.

Mit seinen Geschichten über "Schwarze Pädagogik" traf Markus Manfred Jung den Nerv der Zeit. Ohne Wehleidigkeit, mit trockenem Humor, erzählte Jung von der "Schokopudding- und Haferschleimsuppen-Zwangsernährung" , einer Erfahrung, die er und sein Bruder als Kinder in einem Ferienheim machten. Auch der Stock des Heimleiters kam dabei zum Einsatz. Von Hebel, der auch Pädagoge war, aber kein Freund der "Schwarzen Pädagogik" , trug Jung bekannte Gedichte wie "Das Spinnlein" und "Das Gewitter" vor.

Auch die zweite Alemannische Nacht am Samstagabend widmete sich in subtil kritischer Weise aktuellen Themen, ohne dabei den Humor aus den Augen zu verlieren. Die Elsässer Chansonnière Colette Greder, begleitet von dem "ukrainischen Alemannen" Andrei Ichtschenko am Akkordeon, das Freiburger Multitalent Martin Schley und der Schweizer Liedermacher Max Mundwiller begeisterten das Publikum mit Chansons, Gedichtvorträgen und kabarettistischen Einlagen. Colette Greder besang mit einem Augenzwinkern Themen wie die Entwicklung von der guten alten Registrierkasse zur computergesteuerten Kassenabrechnung mit dem "Bipbipbip" oder die kleinen Fluchten vor den Schlägen des Alltags ins "Schneckehüsli" . Und wenn Martin Schley die Umweltzerstörung und die pseudomagische Schwarzwald-Esoterik so recht zynisch aufs Korn nahm, oder als "Hausmeister Hämmerle" seine Späße trieb, blieb kein Auge trocken. Wahre Begeisterung riefen seine virtuosen Darbietungen auf der einsaitigen Gitarre hervor. Doch es gab auch Töne, die eine Gänsehaut hervorriefen: "Totentanz" — eine Collage aus Hebels Gedicht "Vergänglichkeit" sowie Poesie von Markus Manfred Jung und Hölderlin, begleitet vom dumpfen Trommelschlägen und düsteren Akkordeonsequenzen.

Mit Schweizer Mundartliedern der feinen Art gewann Max Mundwiller aus dem Baselbiet die Herzen der Hörer: Alltagsphilosophie, ein bisschen hintergründig und wehmütig, ein bisschen heiter, manchmal aber auch mit überraschenden politischen Kopfnüssen versehen.

Zum großen Finale lud das virtuose Künstlerquartett das Publikum ein, Hebels Lied "Der Schwarzwälder im Breisgau" mitzusingen.

Alle Künstler erhielten von Bürgermeister Hoffmann und Cornelia Ebinger-Zoeld, der Initiatorin der Mundarttage, Blumen und Weinpräsente und vom Publikum brausenden Beifall.

Fazit: Alemannische Nächte können ganz anders sein. Nämlich aktuell, mit spitzem Humor und spannendem gesellschaftskritischem Hintergrund. Heimatverbunden, aber ohne pathetischen Lokalpatriotismus.