Presse aktuell 2010


 
BZ vom 14.06.2010

Die Relativität der Religionen

Franz Littmann zu Hebels Verhältnis zum Judentum

Um im Tonfall Hebels zu beginnen: Es mag wohl sein, dass der geneigte Leser den rheinländischen Hausfreund gut zu kennen glaubt, allein, wenn man’s recht bedenkt, ist der Fall möglich, dass da und dort noch eine Lücke ist, weil er wohl weiß, wer er war, aber nicht was er alles war. Wer nun auf die zwei Fragen klare Antworten haben will, der erwerbe das neue Lörracher Heft, denn er findet dort in kurzen, prägnant geschriebenen informativen Texten den Hausfreund vorgestellt als alemannischen Dichter, Kalendermacher, Briefschreiber, Naturfreund, Pädagogen, Aufklärer, Theologen, Kirchenmann und Politiker. Und er kann ihn auf seinen Lebensstationen besuchen, trifft ihn in Basel, Hausen, Schopfheim, Karlsruhe, Erlangen, Hertingen, Lörrach und wieder in Karlsruhe und zuletzt in Schwetzingen. Der geneigte Leser wird dieses vom Lörracher Museum am Burghof herausgegeben Heft doppelt gern in Händen halten, weil es zugleich ein schönes Bilderbuch ist, in dem des Hausfreunds Leben illustriert erscheint. Merke: Dieses Heft ist seine zehn Euro wert.

Nach der Buchvorstellung durch Markus Moehring sprach Franz Littmann am Donnerstagabend im Lörracher Museum über Hebels Sympathie für die Juden. In seiner Lebenszeit geschah die Emanzipation dieser unterprivilegierten Minderheit, und Hebel sah schon früh, worauf die hinauslief. Als er in Lörrach unterrichtete, lebten in der Stadt an die einhundert Schutzjuden, er sah also, dass die "Morgenländer" nur gegen Bezahlung geduldet wurden, mehr aber nicht. Dabei kam doch der christliche Gottessohn aus ihrem Volke und hatte vorgelebt, was der Theologe Hebel später "den heiligen freien Geist der Morgenländer" nannte.

Doch der stieß auf christliche Absolutheitsansprüche, auf alleinige Besitzer der vermeintlich unteilbaren Wahrheit. Es wurde bereits dem Theologiestudenten Hebel klar, dass dieser Besitzanspruch unvereinbar war mit dem Geist der Thora und des Talmud. Hebel, der in Karlsruhe auch Hebräisch unterrichtete, kannte und liebte den morgenländischen Geist eines Sowohl-als-Auch, mit dem das christliche Entweder-Oder nichts anzufangen wusste. Für den Aufklärer Hebel war sein christlicher Gott identisch mit dem der Morgenländer, in dessen Haus — ganz im Geiste Lessings — alle geoffenbarten Religionen Platz hatten. Als Kalendergeschichte ("Willige Rechtspflege" ) verkleidet lesen wir Hebels Ansicht dazu im Spruch des Richters, der sowohl dem unteren wie dem oberen Müller Recht gibt, und auf den Einspruch des Amtsdieners diesem antwortet: "Du hast auch recht."

Das ist Hebels Thema! Alle haben Recht — oder Unrecht, und das gilt gleichermaßen für die Religionen. Da er die Judenemanzipation nicht nur als Weg zur rechtlichen, sondern zugleich als den zur religiösen Gleichberechtigung verstand, kam er in der Restauration (nach dem Sturz Napoleons) mit seiner Amtskirche in Konflikt, in dem er zwar unterlag, doch weiterhin vorbehaltlos Mauschels Freund blieb.


Nikolaus Cybinski