Presse aktuell 2010


 
FAZ vom 10.6.2010

STATIONEN: Das Hebel-Museum in Hausen

Foto: Thomas Quartier

Den Vater hat er hier verloren, als er noch ein Säugling war. Den Tod der Mutter musste er mitansehen, als er die Kranke mit dem Ochsengespann von Basel, wo sie als Dienstmagd arbeitete, heimbringen wollte. Sie starb am Wegesrand, unweit der Ruine von Rötteln, die später die Kulisse für sein Gedicht über die Vergänglichkeit sein sollte. Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er im Eisenwerk des Ortes, in dem er arbeitete, um etwas zum kargen Familienbudget beitragen zu können. Mit dreizehn Jahren verlässt er das Dorf. Hätte er nicht froh sein müssen, dass er diesem Unglücksort endlich den Rücken kehren konnte?

Aber Hausen im Wiesental, ein Dörfchen von heute kaum mehr als zweitausend Einwohnern, blieb für Johann Peter Hebel zeitlebens der Sehnsuchtsort schlechthin, das Kindheitsparadies, dessen Anziehungskräfte sich in der Erinnerung noch verstärkten. Von hier wandert er zum Feldberg oder zum Belchen, den er sogar zum Symbol der Kunstreligion des „Belchismus“ erhob. Er ist schon längst im Kirchenamt, als 1803 anonym die „Alemannischen Gedichte“ erscheinen, die Hebels heimischen Dialekt zur „Weltsprache“ werden lassen sollten, wie der Büchner- und Hebelpreisträger Arnold Stadler es formuliert hat. Hebel hat Hausen im Tal der Wiese nie vergessen, aber auch

Hausen hat dem Dichter die Treue bewahrt: Jahr für Jahr begeht das unweit von Lörrach und Basel gelegene Örtchen den Geburtstag des Dichters mit einem großen Fest. In diesem Jahr, zu Hebels 250. Geburtstag, hat das Dorf einen großen Schritt gewagt und das Hebelhaus, die Dichtergedenkstätte, neu eingerichtet. Aus dem angestaubten Heimatmuseum mit dem Charme der sechziger Jahre ist


Hartes Brot im Paradies der Kindheit


eine moderne literarische Gedenkstätte geworden, ein Musterbeispiel dafür, wie auch kleine und kleinste museale Orte behutsam modernisiert werden können.

Das Haus sieht von außen noch immer so aus, wie es die ältesten, noch zu Hebels Lebzeiten entstandenen Abbildungen zeigen: ein Fachwerkhaus aus dem Jahr 1562, das 1718 umgebaut wurde und seitdem weitgehend unverändert geblieben ist. Aber im Inneren zeigt sich dem Besucher ein völlig anderes Bild. Hier erinnert kaum noch etwas an die frühere Ausstellung, die den Besuchern die Illusion eines authentischen Dichterwohnhauses vorgaukelte. Fünfzig Jahre lang haben die Hausener hier zusammengetragen, was sich mit Hebels Person und seinem Werk verbinden ließ, was ihnen zeitgenössisch und somit authentisch erschien. Aber in dem Bett, das hier früher stand, hat Hebel nie geschlafen, auf den Stühlen nie gesessen.

Jetzt ist das „Hebelhüsli“ komplett neu eingerichtet worden: mit einem Veranstaltungssaal im Erdgeschoss und einer Ausstellung zum Hebelpreis und der weltweiten Rezeption des Dichters. Dazwischen liegen im ersten Stock die ehemaligen Wohnräume der Familie, die nun den Schwerpunkt der Dauerausstellung beherbergen. Eine Schautafel verzeichnet die Stationen von Hebels Gedicht „Die Wiese“, das dem Flusslauf von der Feldbergquelle bis zur Mündung in den Rhein folgt, auf Knopfdruck ertönt die alemannische Rezitation der betreffenden Strophen. Im Nebenraum steht der schwere Holztisch aus dem Eisenwerk, an dem auch dem halbwüchsigen Hebel der Arbeitslohn ausbezahlt wurde.

Die neue Präsentation verdankt sich einem gemeinsamen Kraftakt der Gemeinde und der beim Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar angesiedelten Arbeitsstelle für literarische Archive, Museen und Gedenkstätten. Mehr als neunzig solcher Einrichtungen werden hier literaturwissenschaftlich, museumspädagogisch und auch finanziell unterstützt:

Wielands Gartenhaus in Biberach, das Melanchthonhaus in Bretten, das Hesse- Haus und das Hesse-Museum in Gaienhofen und Calw, die Neske-Bibliothek in Pfullingen oder der Hölderlin-Turm in Tübingen. Was Baden-Württemberg damit seit 1980 für die ungemein reichhaltige literarische Tradition im Land tut, hat nach wie vor Vorbildcharakter für die ganze Republik. Seit einiger Zeit bietet die Arbeitsstelle unter der Überschrift „Per Pedal zur Poesie“ auch Reiseführer für Radfahrer an. Diese „literarischen Radwege“ sind als Tagestouren konzipiert, können aber auch in längere Radwanderungen integriert werden. Hausen und sein Hebelhüsli sind bislang noch nicht im Programm. Aber die dreißig Kilometer lange Strecke zu Hebels Geburtshaus in Basel böte sich an. Zu Lebzeiten des Dichters brauchte das Ochsengespann sechs Stunden für
den Weg.


HUBERT SPIEGEL

Hebelhaus, Bahnhofstraße 2, 79688 Hausen im Wiesental. geöffnet Mittwoch, Samstag und
Sonntag von 10 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung (Telefon: 076 22/6 87 30). Informationen zu den literarischen Gedenkstätten in Baden-Württemberg unter www.literaturland-bw.de