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Presse aktuell 2010
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BZ vom 05.06.2010
Was für Geschichten zum Beweis, dass die Welt gut ist!
Bernhard Viels Biographie über den Dichter und Volksaufklärer Johann Peter Hebel / Lesung in Kirchzarten
An Biographien über Johann Peter Hebel herrscht
jetzt kein Mangel mehr. Zum am 10. Mai
begangenen 250. Geburtstag des in Basel und
Hausen aufgewachsenen Dichters, Theologen und
Volksaufklärers haben sich drei Autoren auf die
Spuren von Leben und Werk gemacht. Das knappste,
bündigste und prononcierteste Hebel-Buch hat
Franz Littmann, Mitarbeiter des Museums für
Literatur am Oberrhein, geschrieben ("Johann
Peter Hebel. Humanität und Lebensklugheit für
jedermann" ). Dass es in der Öffentlichkeit
nicht die gebührende Beachtung fand, ist zwei
Umständen geschuldet: Es kam zu früh auf den
Markt und ist in einem kleinen Verlag
erschienen. Die Biographien von Heide Helwig und
Bernhard Viel sind besser aufgehoben: bei Hanser
Verlag und bei C. H. Beck. Wenn man diese beiden
vergleicht, ist dem Literaturwissenschaftler
Viel der Vorzug zu geben: "Hebel oder Das Glück
der Vergänglichkeit" verliert sich auf 260
Seiten nicht — wie die um 80 Seiten
umfangreichere Biographie von Helwig — in
Details, ist klar gegliedert und wartet im
Anhang mit einer detaillierten Zeittafel zur
schnellen Orientierung auf.
Im Vorwort springt Viel furchtlos mitten hinein
in eine Kalendergeschichte, die zu Hebels
ungeheuerlichsten gehört: Aus Habgier erschlägt
ein Bauernehepaar einen Metzger und beseitigt
das eigene Kind als unliebsamen Zeugen. Doch
Hebel wäre nicht Hebel, bliebe das abscheuliche
Verbrechen ungesühnt. Freilich: Kein schlechtes
Gewissen führt zur Aufklärung, sondern ein
Zufall: Der Hund des Metzgers sucht sein
Herrchen — deswegen der umständliche Titel "Wie
eine gräuliche Geschichte durch einen gemeinen
Metzgerhund ans Tageslicht gebracht wurde" : Sie
ist wahrlich, wie Viel schreibt, wüst und
irrsinnig: "Was für eine Geschichte, um zu
beweisen, dass die Welt gerecht und gut ist!"
In der Tat. Was für eine Geschichte für einen
Prediger und Lehrer und späteren Prälaten. Und
doch, daran lässt Viel keinen Zweifel, war für
Hebel die Welt von Gott vernünftig geordnet, und
der Mensch, so er sich seines Verstandes
bedient, findet in ihr zur eigenen Zufriedenheit
den ihm angemessenen Platz. Entsprechend
interpretiert der Biograph Hebels großes Gedicht
"Die Wiese" als einen Bildungsroman in Versen —
was dann aber doch auf eine ziemliche
Begradigung des auf dem Feldberg entspringenden
und sich am Ende in den Rhein stürzenden
Flüsschens hinausläuft. "Feldbergs liebligi
Tochter" , wie es bei Hebel so anmutig heißt
("wie cha mi Meiddeli springe!" ), rennt, wenn
sie tobt, "öbbe (& ) e Hüsli nieder" . Bernhard
Viel indes nimmt für Hebel auch bei solchen die
Ordnung bedrohenden Kräfte die Harmonie von
Gottes Schöpfung in Anspruch. In diese fügt sich
für ihn auch Hebels grandioses Gedicht "Die
Vergänglichkeit" ein; woran man seit Arnold
Stadlers furiosem Essay durchaus auch Zweifel
hegen kann.
Ob es die Biographie, wie der Autor ankündigt,
tatsächlich wagt, "gerade auch die
Zwiespältigkeit und Gebrochenheit" Hebels in den
Blick zu nehmen, steht deshalb in Frage. Hinter
diesem von Hebel-Lesern wie Walter Benjamin
genährten Anspruch bleibt sie zurück. Das
Proteusische, das Unstete, Nomadenhafte in
Hebels Wesen, das ihn im Namen seines
Schutzpatrons Proteus, des — man denke! —
griechischen Gott der Täuschung immer wieder zu
kleinen Fluchten aus den ihm zunehmend lästigen
Karlsruher Amtsgeschäften trieb, steht bei
Littmann konsequenter im Fokus.
Dennoch liest man dieses Buch mit viel Gewinn.
Der gebürtige Münchner, der eine
ideengeschichtliche Studie zum Roman der
Gründerzeit vorgelegt hat und zu Hebel fast kam
wie die Jungfrau zum Kinde: über die hebelfeste
Familie seiner aus dem Wiesental stammenden
Ehefrau, hat präzise recherchiert und sein
Material auf seine zentrale These hin geordnet:
dass Katastrophen, Untergang, Zerstörung bei
Hebel im großen Kreislauf von Vergehen und
Entstehen ihren Sinn gewinnen. Zudem besticht
seine Darstellung durch einen zupackenden,
unakademischen, uneitlen Stil. "Ein Buch über
Hebel muss knapp, lesbar und verständlich sein"
, schreibt Viel. So ist es. Und genauso ist
dieses Buch geworden.
Bettina Schulte
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