Presse aktuell 2010


 
BZ vom 28.5.10

Goethes Lob nicht ohne Widerhaken

Ein Abend in der Stadtbibliothek mit "Johann Peter Hebel und seinen Bewunderern" / Einer, der gelesen werden will

Von unserem Mitarbeiter Thomas Loisl Mink

LÖRRACH. Johann Wolfgang von Goethe und Carl Jacob Burckhardt, Ernst Bloch und Martin Heidegger — sie und andere haben Johann Peter Hebel als Schriftsteller bewundert. Am Mittwochabend sprach in der Stadtbibliothek die SWR-Kulturredakteurin Barbara Paul mit Hans-Martin Gauger über Hebel und seine Bewunderer.

Der Freiburger Sprachwissenschaftler Hans-Martin Gauger gilt als Hebel-Experte, und so hatte man ihn zu der Veranstaltung im Rahmen des Hebeljahres eingeladen, die Wirkung von Hebels Werk näher zu beleuchten. Dabei beschränkte sich die Veranstaltung nicht auf Theoretisches, auch Hebel selbst kam zu Wort: Der Schauspieler Klaus Spürkel trug einige von Hebels Kalendergeschichten vor und eröffnete den Abend mit der bekannten Geschichte vom "Kannitverstan" . "Es ist die große Einfachheit, die Knappheit der Darstellung, die Treffsicherheit in den Angaben, die er macht, mit der Hebel seine Wirkung erzielt" , meinte Gauger gerade auch im Hinblick auf diese Geschichte. Mit den Kalendergeschichten habe Hebel aber insbesondere für die kleinen Leute geschrieben, die er gut kannte und für die der Kalender der einzige Lesestoff war. Sein Verleger Cotta, der auch Goethes Verleger war, hat jedoch erkannt, dass das auch Stoff für eine größere Leserschaft war und sie als Buch veröffentlicht. Hebel sei ungemein fleißig, aber kein Machtmensch gewesen, und habe er nur wenig Ehrgeiz besessen.

Hebel habe erst relativ spät mit dem Schreiben begonnen, etwa im Alter von 40 Jahren, und er schrieb überhaupt nur kurze Zeit. Die alemannischen Gedichte, die ein Produkt des Heimwehs seien, habe er alle innerhalb eines Jahres verfasst. Dennoch sei in seinen Schriften das Bemühen spürbar, gelesen zu werden und anzukommen.

Bemerkenswerterweise habe sich Goethe mehr für Hebel interessiert als Hebel für Goethe, stellte Gauger fest. Nach einer Begegnung in Karlsruhe notierte Goethe: "Hebel ist ein ganz vorzüglicher Mann." Hebel erwähnt die Begegnung mit Goethe dagegen nicht. "Aber Goethes Lob ist nicht ohne Widerhaken" , sagte Gauger. Ihn habe die Volksdichtung interessiert, und er wollte Hebel darauf reduzieren.

Auch der Philosoph Ernst Bloch war ein Verehrer von Hebels Geschichten, wobei er wohl bewunderte, dass es die Geschichten der kleinen Leute waren, meinte Gauger. "Hebels Bewunderer kommen aus ganz verschiedenen Lagern. Darunter sind Konservative, auch mit nationalsozialistischem Hintergrund wie Hermann Burte, aber eben auch Linke wie Bloch" , stellte Gauger fest. Martin Heidegger habe auf seiner Hütte in Todtnauberg weiblichen Besucherinnen Hebels Kalendergeschichten vorgelesen, erzählte Barbara Paul. Hans-Martin Gauger war selbst schon in dieser Hütte und fand dort ein von Adolf Glattacker gemaltes Hebel-Porträt vor. Auch der Schriftsteller Arnold Stadler, der wie Heidegger aus Meßkirch kommt und Träger des diesjährigen Hebel-Preises ist, bewundert Hebel. Doch während Stadler glaubt, Hebel habe den christlichen Glauben nicht ganz ernst genommen, meint Gauger, die Eckpunkte des Glaubens spielten in Hebels Werk immer wieder eine wichtige Rolle. Gleichwohl bezeichnete Gauger Hebel als "freundlichen Aufklärer" .