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Presse aktuell 2010
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Der Sonntag vom 16. Mai 2010
Querkopf und Visionär
HEBEL ALS THEOLOGE: Wie ein Abweichler von der Amtskirche dennoch Karriere machte
Der Theologe und Kirchenpolitiker Hebel war in der Amtskirche offiziell umstritten. Wie konnte ein solcher Querkopf dennoch zum ersten Prälaten der Vereinigten Badischen Landeskirche werden?
NIKOLAUS CYBINSKI
In der Nacht auf den 3. Juni 1812 träumte Hebel:
In der nämlichen
Nacht speiste ich mit Christus und den Aposteln,
letztere waren Herrenhuter. Ich besorgte immer,
Christus möchte mir ansehen, dass ich nicht
kauscher im Glauben sei.
Hatte Hebel Grund zu dieser Besorgnis? Durchaus,
denn zu dieser Zeit durchlebte er eine Krise.
Anklänge daran notierte er in einem früheren
Traum:
Ein schöner
Strom floß sanft dahin mit mehreren Fahrzeugen.
Ich ging auf dem Weg nebenher. Mehrere fahren
auf dem Strom vorbei mit den Malzeichen Jesu am
Körper und mit einer Sonnenuhr auf der Brust
gemalt.
Hebel wusste wie weit er sich bereits von der
amtskirchlichen Theologie entfernt hatte. Und
dieses Ausscheren beginnt schon früh.
Noch als Lehrer am Lörracher Pädagogium
begründet er mit dem Rötteler Vikar Friedrich
Wilhelm Hitzig den Proteuskult. Sie erheben die
weissagende antike Gottheit, die ständig ihre
Gestalt verändern kann und darum schwer zu
fassen ist, zu ihrem Hausgott und machen den
Belchen zu dessen Altar. Das war für angehende
Pfarrer ein gewagtes, schwärmerisches Spiel, und
es scheint, dass es vielleicht mit ein Grund
dafür war, dass er nie Pfarrer im
Markgräflerland wurde. Statt einer Pfarrei in
Hertingen oder Kandern dann im August 1791 die
Fahrt nach Karlsruhe, um an seinem alten
Gymnasium illustre alte Sprachen, Geografie,
Mathematik und Naturlehre zu unterrichten. Hatte
man den „Subdiakonus“ in die Residenz versetzt,
um ihn besser im Blick zu haben? Tatsache ist,
dass die amtskirchlichen Zweifel an seiner
theologischen „Linientreue“ nie ganz
verstummten. Immerhin ließen ihm die 21
Wochenstunden, die er zu unterrichten hatte, die
Zeit, 1807 die Redaktion des Badischen
Landkalenders, jetzt „Rheinischer Hausfreund“
genannt, zu übernehmen und bis 1814 innezuhaben.
In dessen Geschichten begegnen wir immer wieder
dem Theologen Hebel, und was der erzählend
predigt, ist ein von den Menschen täglich selbst
zu gestaltendes und zu verantwortendes
Christsein, Ein „meisterloses“ Gläubigwerden, in
dem der Mensch Partner Gottes wird und die Sünde
keine Erblast ist, sondern eine Abirrung, die im
Vertrauen auf Gott und mit seiner Hilfe
korrigierbar wird. Dieses Vertrauen auf den
liebenden Gott ist der Kern seines theologischen
Denkens; Gott hilft und beschützt, denn er ist
kein „kapriciöser Wohltäter.“ Was immer wir tun
und lassen, was auch geschieht und
Wo mit Satans
Gheß und Not, /e Dieb uf dunkle Pfade goht.— / i
will‘s nit hoffen, aber gschieht‘s — / gang
heim! Der himmlisch Richter sieht‘s.
Im Vertrauen auf den Überblick und die
personalen Blicke dieses Richters erzählt der
Pfarrer Hebel von einem neuen Christsein, dass
allein die Knie vor dem oben beugt, wie es in
der Erzählung „Der fromme Rat“ heißt. Als der
Jüngling nicht weiß, vor welcher der beiden
Monstranzen, die da auf ihn zukommen, er
niederknien soll,
da lächelte der
eine Pater (..) und hob die Hand und den
Zeigefinger gegen den hohen und sonnereichen
Himmel und
das weß der Hausfreund zu loben und
hochzuachten.
Wegen dieser Passage beschwerte sich 1815 die
katholische Kirche. Die Regierung kuschte, der
Kalender musste teilweise neu gedruckt werden,
und Hebel legte daraufhin verärgert und gekränkt
die Redaktion nieder. Da wussten sich wieder
welche im Besitz der unumstößlichen
theologischen Wahrheiten, mit denen Hebel sich
so schwertat. Ende Januar 1821 schreibt er
darüber an Hitzig:
Sie seien der
ehrwürdige Rost und Grünspan, der sich in der
Reihe der Jahrhunderte zuerst an dem Evangelium
angesetzt und hernach eingefressen hat. Man kann
ihn nicht mehr rein wegschaben, ohne etwas von
dem edlen Metall abzukratzen. Man kann dieses
nur noch in seiner Kruste konservieren.
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„Nicht alles,
was Jesus seinen Zeitgenossen sagt, gilt auch
für alle Menschen und für alle Zeiten.“
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Glaubte Hebel, das Wort Gottes unter dieser
Kruste unversehrt zu hören? Wurde es vielleicht
kindgerecht hörbar in den „Biblischen
Geschichten‘ die er ab 1818 für die
evangelischen Schulen Badens aufschrieb? In
ihnen erklärt er die biblischen Wunder so weit
es geht rational, was die amtskirchlich Frommen
gegen ihn aufbrachte. Hebel weiß, dass es
Geschichten gibt, die sich nicht restlos
erklären lassen, die Kreuzigung ist eine solche,
und so schließt er sie ziemlich ratlos:
Als der
Hauptmann der römischen Wache das Erdbeben
wahrnahm, sprach er: Wahrlich, er ist ein
frommer Mann und Gottes Sohn gewesen. Das Volk
aber schlug an seine Brust und kehrte wieder um.
Und dann der Schlusssatz:
Man weß nicht,
was man dazu sagen soll. Ein im Verständnis der
amtskirchlichen Exegese theologisch so brisanter
Satz wie der andere: Nicht alles, was Jesus
seinen Zeitgenossen sagt, gilt auch für alle
Menschen und Zeiten.
Mit solchen Aussagen machte sich Hebel immer
wieder angreifbar, und er wusste das. Dass er
vorerst wie Proteus nicht zu fassen war, lag
wesentlich daran, dass er sich als
Kalendermacher einen über Baden hinausgehenden
Namen gemacht hatte. Wie weit er sich
gelegentlich immer wieder theologisch vorwagte,
lesen wir am Schluss der Erzählung „Die
Bekehrung"
Merke: Du sollst nicht über die Religion grübeln
und düfteln, damit du nicht deines Glaubenskraft
verlierst. Auch sollst du nicht mit
Andersdenkenden darüber disputieren, am
wenigsten mit solchen, die es eben so wenig
verstehen als du, noch weniger mit Gelehrten,
denn die besiegen dich durch ihre Gelehrsamkeit
und Kunst, nicht durch deine Überzeugung.
Sondern du sollst deines Glaubens leben, und was
gerade ist nicht krumm machen. Es sei denn, daß
dich dein Gewissen selbst treibt zu
schanschieren.
Dass Hebel sich in Karlsruhe behaupten konnte,
verdankte er den politischen Umständen. In der
Verfassung, die Großherzog Karl 1818 in Kraft
setzte, war die Position eines Prälaten als
höchstem evangelischen Geistlichen vorgesehen,
und der Landesherr favorisierte Hebel wegen
seines ausgleichenden Wesens, denn es ging la
darum, das Land, ein künstliches Gebilde von
Napoleons Gnaden, badisch zu machen. Hebel trieb
die Vereinigung der 230 000 Lutheraner und 62000
Reformierten in der Badischen Landeskirche
voran.
Doch der Theologe Hebel zog sich in den letzten
Lebensjahren in die innere Emigration zurück.
Und weil „die exegetischen Augen anders sehen
als die gemeinen‘: sah ihm der amtskirchliche
Christus eben an, dass er „nicht kauscher im
Glauben“ sei. Doch der Christus, den er meinte,
der göttliche
Mensch, der den göttlichen Willen so lebte, wie
ein jeder es tun sollte, (...) dessen Leiden,
Tod und Auferstehung eines Menschen Gang zur
Unsterblichkeit war,
hätte vielleicht Hebels Vision zugestimmt, wie
sie der Doktor in der Erzählung „Spaziergang an
den See“ entwirft, dass nämlich „das Beste“ als
der Auferstandene einst wiederkommen wird und
„im aufgelösten Sternenlicht eines neuen Himmels
und einer neuen Erde“ die Zeit sich erfüllt. Der
mit an den See spazierende Pfarrer schluckt ein
paar Mal und denkt sich: "Er hat schon Religion,
wenn schon eine eigene.“
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