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Presse aktuell 2010
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Der Sonntag vom 9. Mai 2010
Der Pakt mit dem Leser
Hebel als
Erzähler: Unterhaltende Aufklärung und
Selbstprüfung statt Belehrung
Morgen wäre Johann Peter Hebel 250 Jahre alt
geworden. Unsere Serie widmet sich heute dem
wirkungsmächtigsten Teil seines Schaffens: den
Kalendergeschichten.
MANFRED BOSCH
Bekanntlich kann man den Leuten sagen, was man
will — sie hören einfach nicht hin. Aber wenn
man ihnen etwas erzählt, kann man Glück haben.
Zum Beispiel wenn man Hebel heißt. Dessen
„Erzählungen des Rheinischen Hausfreundes“
entzücken den Leser, selbst wenn sie unter dem
pausbäckigen Titel „Schatzkästlein“ daherkommen,
auch heute noch. Sie haben sogar das Zeug, seine
Kollegen neidisch zu machen — darunter nicht die
geringsten. Ich meine nicht Goethe (der ja nur
die Naivität der „Allemannischen Gedichte“ cool
fand), sondern Jean Paul und Kafka (Das
„Unverhoffte wiedersehen“ war ihm die
„wunderbarste Geschichte, die es gibt“), Walter
Benjamin (er meinte, Hebels Werk sei „von einer
Welt- und Geistesweite wie wohl kein zweites der
Gattung“) — und Elias Canetti (der bekannte,
kein Buch geschrieben zu haben, das er nicht
heimlich an Hebels Sprache maß). Und Kurt
Tucholsky empfahl Hebel (,‚mit einem b“) als ein
„Reinigungsbad der Seele".
Worin liegt die Wertschätzung dieses Werks, die
Beliebtheit seines Autors begründet? Ein erster
Antwort- versuch kann sich an das Wort vom
„Genie der Popularität“ halten, mit dem man
Hebel belegt hat. Es meint einen Dichter, der
alle Lesealter und -schichten beieinander zu
halten versteht, ohne den Klügsten zu unter- und
den Einfältigen zu überfordern.
Ein anderes ist Hebels Pakt mit dem Leser. Nach
alter Kalendermachermanier setzt er zwar noch
auf die Rolle des guten Vormunds, aber nur um
sie so rasch als möglich abzustreifen. Der Leser
weiß den Hausfreund immer dicht hinter sich —
aber eben nur als einen Beistand, der zum
Selber- denken mahnt. Andere Kalendermacher
seiner Zeit haben Hebel darum getadelt — und er
hat keinen Anstand genommen sie deswegen beim
Souverän, dem Leser, zu verklagen. „Alle
Kalendermacher werden nach und nach dem
Rheinländischen Hausfreund aufsätzig“ — denn der
verwöhne nur die Leute und „mache sie
meisterlos, weil er seinen Lesern über alles,
was er tue und unterlasse, Rechenschaft gebe,
und mit ihnen rede".
„Schauts also da heraus?“ Hebels Rechenschaft,
sein Mit-den-Leuten-Reden hat in der Tat mit den
Postulaten der Aufklärung zu tun, die in Hebels
Biografie und Denken so gut hineinspielt wie
Französische Revolution, Restauration und
Liberalismus.
In diesen Wirren glaubte er keine bessere
Orientierung geben zu können als eben die Leute
„meisterlos‘ also mündig zu machen. „Die Sache
fängt an, dem verständigen Leser einzuleuchten‘
Dieser Absicht steht nicht einmal der Theologe
im Wege. Hebel habe „den Geistlichen nie zur
Unzeit“ herausgekehrt, heißt es schon in einem
zeitgenössischen Nachruf auf ihn. Doch so wenig
Hebel, der mit den Worten Goethes das Universum
aufs Lieblichste ‚verbauert“ haben soll, sich
mit dem Licht einer Stalllaterne begnügte, so
wenig setzte er das Universum dem gleißenden
Flutlicht radikaler Entmythologisierung aus. Die
Bilanzen der Schöpfung nachzuprüfen erschienen
ihm die bescheidenen Grundrechnungsarten
menschlicher Logik unzureichend: „Der gelehrige
Leser begreift‘s ein wenig, aber doch nicht
recht‘
Hebels Begriff von Aufklärung war pragmatisch
und moderat — als hätte er etwas von dem
künftigen Dilemma, der fatalen Dialektik absolut
gesetzter Aufklärung geahnt, die so unversehens
in eine Diktatur der Rationalität, in die
Profanität einer entzauberten Welt, in
menschliche Hybris umschlug: „Geneigter Pilger,
diese Lichter“ — Hebel meint die Sterne — „sind
nicht wegen Deiner angezündet.“
Hebels Überzeugungskraft, sein erzählerischer
Charme kennt noch andere Quellen. Eine von ihnen
ist seine federnde Moral. Wer bei ihm seinen
Auftritt hat, darf sich verstanden fühlen bis in
seine Unarten hinein. Es muss einer schon viel
wagen, bevor er Hebels lächelndes Verstehen
verspielt, und wenn er‘s nur recht pfiffig und
gewitzt anstellt, gewinnt Hebel auch seinen
Gaunereien noch etwas ab. „Item — wenn‘s nur
wohlgetan hat“.
Ganz anders als viele seiner kirchlichen
Zeitgenossen und Nachfolger, die es als feiste
Prediger der Magerkeit für ganz in der Ordnung
fanden, dass ab und zu ein Krieg die Menschen in
ihrer angeblichen Sittenlosigkeit ein wenig
zause, konnte Hebel es ganz in Heine‘scher
Manier bedauern, dass es mit jenem Krieg ‚noch
nicht recht hat wollen in Gang kommen, wo mit
Apfelküchlein geschossen und kriegsgefangene
Kronentaler eingebracht werden‘: Aus den großen
Fragen bezieht Hebel gern die Stoffe für seine
Erzählungen. Mal bemüht er die Zeitgeschichte
wie im „Husar von Neisse“ oder in „Suwarow“, mal
greift er zeitlose Erfahrungen auf.
Mit
insgeheimer Freude an sanfter Anarchie
Etwa in „Der seltsame Spazierritt‘: bei dem
man‘s überhaupt nicht recht machen kann, solange
man auf die Leute hört, oder in seiner
allerkürzesten, jetzt wieder so aktuellen
Geschichte vom Büblein, das den ohrfeigenden
Vater bei der Mutter verklagt: „Lügst du wieder?
Willst du noch eine?“ In ‚Willige Rechtspflege“
geraten in einem Rechtsstreit zwei Auffassungen
aneinander, und der Richter gibt zuerst dem
einen recht, um dann dem andern beizupflichten:
„Du hast auch recht.“ Hebel, darf man
unterstellen, ist der Richter selber, und seine
Geschichte will in etwa sagen: Nichts ist ohne
sein Gegenteil wahr. Aber das sagt Hebel nicht.
Er weiß, dass es wichtiger ist, dem Leser durch
die rechten Fragen auf die Sprünge zu helfen.
Das macht ihn so modern.
Johann Peter Hebel — Menschenfreund und Pädagoge
mit dem Glauben an die Verbesserbarkeit der
Welt. Der Kirchenmann, bei dem sich Glaube und
Vernunft nicht im Wege stehen. Der Kalendermann
mit der insgeheimen Freude an sanfter Anarchie
und subversiver List. Der Aufklärer, der nie das
Staunen verlernt, der Dichter, der im Kleinen
und Unscheinbaren das Große entdeckt, um die
Trägheit unserer Herzen weiß und um unsere
moralische Ermüdbarkeit. Für sie hält Hebel, an
dem Hartmut von Hentig einmal die „Intelligenz
seiner Moral“ gerühmt hat, das unaufdringlichste
Programm zur Selbstprüfung bereit, das sich
denken lässt, die unwiderstehlichste Einladung,
sich selber nie ganz zu trauen.
>MANFRED BOSCH
lebt in Konstanz. Im Verlag Klöpfer & Meyer ist
gerade der von ihm herausgegebene Band
„Oberrheingeschichten“ erschienen. Nächste
Woche: Hebel als Theologe.
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