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Presse aktuell 2010
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Die Oberbadische vom 15.5.10
Tiefer Blick in die literarische Schatztruhe
Der Autor und Herausgeber Manfred Bosch über Literatur am Oberrhein, die Rolle von Dialekten und Johann Peter Hebel
Lörrach. Manfred Bosch, bis 2008 in Lörrach
lebender Herausgeber und Autor, hat bereits
zahlreiche Darstellungen zur Zeit- und
Literaturgeschichte des deutschen Südwestens
sowie Bände über vergessene Autoren
veröffentlicht. Im Verlag Klöpfer Meyer hat er
nun eine neue Anthologie auf den Markt gebracht:
Oberrheingeschichten. Sie beinhaltet
Erzählungen, Gedichte, Romanauszüge und Essays
von fast 90 Autoren aus fünf Jahrhunderten von
Büchner über Goethe und Hemingway bis zu Tomi
Ungerer sowie ein ausführliches Nachwort. Mit
dem in Konstanz lebenden Herausgeber sprach
unsere Redakteurin Gabriele Hauger.
Der Südwesten
Deutschlands scheint Sie literarisch nicht
loszulassen?
Ja, der Südwesten ist schon mein Revier. Ein
kulturell und literarisch sehr fruchtbarer Raum,
der sehr viel hergibt grade zwischen Basel und
Karlsruhe. Da ich mich seit Jahrzehnten mit ihm
befasse, hat mich der Verlag Klöpfer Meyer
angesprochen, ob ich nicht den Oberrhein-Band in
der Reihe seiner Landschaftsgeschichten
herausgeben wolle. Das hat mich gleich gereizt.
Eine schöne Aufgabe...
Kann man bei
dieser Gegend von einem gemeinsamen Sprach- und
Kulturraum sprechen?
Dafür gibt es jedenfalls viele Indizien: Man
denke nur an die gemeinsamen Dialekte. Bevor die
Politik da hineingefunkt hat, gab es links und
rechts des Rheins zudem sehr intensive Kontakte
private, kulturelle, auch literarische. Später
ist das durch Kriege, politische Grenzziehungen
und Konflikte sehr beeinträchtigt worden. Der
Austausch über den Rhein war jedoch traditionell
immer sehr stark.
Das Buch ist
eine wahre Schatztruhe. Nach welchen Kriterien
haben Sie die Inhalte - Texte und Autoren -
ausgewählt?
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich noch
viel mehr Texte aufgenommen. Auswählen müssen
tut immer weh. Zunächst war klar, dass der
Zeitraum vom Humanismus bis zur Gegenwart
abgedeckt werden soll. Da galt es abzuwägen: Was
gab es alles rechts und was links des Rheins?
Wenn man dann alles zusammen hat, geht es um
Gewichtungen: in geographischer Hinsicht, in
sozialer, mit Blick auf die Textgattungen und
nicht zuletzt auf weibliche Stimmen und
Sichtweisen - auch wenn es mitunter schwer war,
für manche Zeiten Texte von Frauen zu finden.
Des weiteren sollten verschiedene
Lebenswirklichkeiten und Milieus abgedeckt
werden: Bürgertum, die kleinen Leute,
Arbeiterschaft, aber auch die jüdische
Tradition. Kurzum: es sollte ein lebendiges,
abwechslungsreiches Bild einer Landschaft und
ihrer Geschichte entstehen. Dazu gehören auch
avantgardistische Schreibweisen, etwa bei Hans
Arp oder René Schickele.
Hat sich die
Gliederung der Kapitel nach Stichworten wie
Landschaften und Städte aufgedrängt?
Ich hätte natürlich auch alle Beiträge
chronologisch ordnen können. Das wollte ich aber
nicht. Ich wollte eher Begriffe wie Lebenswelten
ins Spiel bringen, wo gezeigt wird: Wie haben
die Menschen am Oberrhein gelebt? Im
Eingangskapitel wollte ich zeigen, wie die
Landschaft beschrieben wird, wie sich der Blick
auf Landschaft und Städte gewandelt hat. Auf
Durchreise wollte ich den Blick von außen
zeigen. Wie sich das Verhältnis zwischen Baden
und dem Elsass verändert hat, sollte im Kapitel
Identität und Wandel deutlich werden. Gerade vor
dem Hintergrund der Kriege, der unseligen
Erbfeindschaft. Oder dann die neue Annäherung
beim Kampf gegen die Atomkraftwerke und wie
dabei der Dialekt eine Brücke gebildet hat
Haben Sie
einen Lieblingsautor oder eine
Lieblingsgeschichte?
Ich hatte sowohl Autoren- als auch
Textlieblinge. Hilde Ziegler und René Schickele
gehören bei mir zu ersteren. Auch Annette Kolb
schien mir unverzichtbar oder der Essayist Horst
Krüger, der über Baden-Baden schreibt, ein sehr
schöner Text. Oder humoristische Texte wie von
Otto Jägersberg über Karlsruhe. Neben den
Texten, die man in so einem Buch zu Recht
erwarten kann, wollte ich auf jeden Fall
möglichst viele Autoren, die nicht oder nicht
mehr so bekannt sind, aber eine Entdeckung wert
sind. Man hat da schon auch einen
Entdeckerehrgeiz.
Geht man nach
Lektüre des Buchs mit neuen Augen durch die
Gegend südlicher Oberrhein?
Das wäre natürlich ein wunderbares Ergebnis.
Auch bei mir hat sich bei der Sichtung der Texte
manch neuer Blickwinkel auf diese Regionen
ergeben.
Hebel darf in
Ihrer Anthologie natürlich nicht fehlen. Was
halten Sie denn vom aktuellen Hebel-Boom?
Hebel ist wunderbar. Dass er jetzt besonders auf
den Sockel gestellt wird, ist klar. Ich würde
ihm nur wünschen, dass er auch über die
Main-Linie hinaus mehr zündet. Wenn man in
Hamburg Hebel sagt, verstehen die Leute Hebbel!
Es ist schade, dass die Hebel-Gesamtausgabe
nicht recht voran kommt. Man sollte Hebel
endlich gesamtdeutsch wahrnehmen. Das hätte er
verdient.
Buchvorstellung
mit Manfred Bosch 30. Mai, 11 Uhr,
Stadtbibliothek Lörrach
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