Presse aktuell 2010


 
BZ vom 11.5.10

"Einmal das Dorf hinauf und hinunter"

Hausen feiert Johann Peter Hebels 250. Geburtstag mit der Verleihung des Hebelpreises an Arnold Stadler / Basler Rat: "Nicht nur feiern, sondern Hebel wieder lesen"

Von unserem Redakteur Hermann Jacob

HAUSEN. An einem verregneten Maimorgen wurde in Hausen der 250. Geburtstag Johann Peter Hebels gefeiert mit der Verleihung des Hebelpreises 2010 an Arnold Stadler und dem "Hebelmähli" für die zwölf ältesten Mannen und Frauen des Dorfes. Nicht nur Hebel feiern, sondern vor allem wieder lesen, empfahl die Präsidentin der Basler Hebelstiftung. Der neue Hebelpreisträger rühmte in seiner Rede Hebels Geschichten "aus Zeiten, als der Abend noch kein Fernsehabend war" .

Nach dem Abholen der Basler Gäste vom Bahnhof und dem Festzug durchs Dorf wurde die Feierstunde in der Festhalle umrahmt von der Hebelmusik, Gedichtvorträgen der Neuntklässler und dem Gesangsensemble "Déjà Vu" der Musikschule Mittleres Wiesental. Dieses lockerte die Feier unter anderem mit einer eigenen begeisternden Version der Hymne "G’sang in Ehre" auf. Bürgermeister Bühler begrüßte in der Halle auch den Basler Regierungspräsidenten.

Beatrice Mall-Grob, die Präsidentin der Basler Hebelstiftung nahm Bezug zum "Trubel" um Hebel. Für sie ein Signal, dass eine große Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Dichter besteht. Sie beleuchtete die verschiedenen Hebelbilder — volkstümlich, schulmeisterlich, bürgerlich — doch sei Hebel sicher nicht naiv gewesen, "da steckt mehr drin" . Bei ihm scheine die Ordnung mit der Vernunft zu konkurrieren, er suche den Dialog mit dem Leser, lasse manches ungeklärt und biete Gesprächsstoff — auch heute. Anhand des Textes "Etwas aus der Türkei" kam sie zur Frage: Wo hört Toleranz auf und fängt Gleichgültigkeit an? Das Risiko eines offenen Diskurses einzugehen in dem Vertrauen, dass die Vernunft den richtigen Weg findet, sei auch heute geboten. Aber: "Haben wir noch das ungebrochene Vertrauen in die Vernunft, wie Hebel es hatte?" Nach ihrer Ansprache dann wie immer das Verteilen der Basler Geschenke an die besten Schüler, Lehrlinge und die Bräute des Jahres.

Regierungspräsident Julian Würtenberger erinnerte daran, dass auch die Schweiz und das Elsass mitfeiern. Er zählte einige der 150 Veranstaltungen des "Literatursommers" auf, die landauf, landab geboten werden. "Ich kann’s nit verstan" , meinte zur Ablehnung der Deutschen Post, eine Sonderbriefmarke herauszugeben. Die Tradition Hebels zu wahren, sei dem Land ein großes Anliegen. Die Liste der Hebelpreisträger beweise, dass Hebel die Literaten bis heute inspiriere. Dann überreichte er Arnold Stadler die Urkunde zur Verleihung des Johann-Peter-Hebel-Literaturpreises. In ihrer Laudatio nannte Dr. Bettina Schulte, Ressortleiterin der BZ-Kulturredaktion, Arnold Stadler einen "Dichter des Understatements, dem die große Pose nicht liegt, wie Hebel mit einem Sinn für die groteske Komik der alltäglichen Situationen" .

"Das Leben ist kurz und schmerzlich, einmal das Dorf hinauf und hinunter" , schreibt Stadter. In dessen pointenverliebte Sätze könne man sich als Leser immer wieder neu verlieben. Stadlers Antwort auf die Frage nach der Heimat: "Unsere Heimat ist die Welt" — "das hätte auch Hebel sagen können" , so Schulte. Arnold Stadler nenne seine Geschichten "eine einzige Passionsgeschichte" , er schreibe im Grunde immer an einem Buch, und seine Passion münde in ein großes "Einvernehmen mit dem Leben" .

In seiner humorvollen Dankesrede sagte Arnold Stadler, man müsste die Muttersprache auf die rote Liste der bedrohten Sprachen stellen und zeigte, wie sie sich mit den Zeiten verändert: "Mitgemacht" habe früher "gelitten" gemeint, und nicht die Beteiligung an "Wer sucht den Superstar" . Die Maßeinheit eines Lebens beschäftigt ihn : "Ein halbes Jahrhundert genügt, und schon ist es Abend" , sinnierte Stadler über den Umstand, dass er auf der Bühne in Hausen stand, was er damals beim "Wurstschnappen am schmutzige Dunschtig" in Messkirch noch nicht habe wissen können. Das Leben bezeichnete er als ein Geschenk, "das Schönste, das es gibt" . Der Mensch ist unterwegs, "aber unterwegs ist auch schön" , sagt Stadler, und von dem Etikett "Provinz" will er nichts wissen: "Es gibt nicht Provinz, nur Welt" .

Stadler über das Geburtstagskind: Hebel sei es nicht auf das Erfinden angekommen, sondern auf das Erzählen, "er liebte seine Leser und kannte sie, er wollte gelesen und verstanden werden" .

Geschichten eben aus Zeiten, als der Abend noch kein Fernsehabend war. "250 Mal hätte er die Sonne umrundet — so viel ist das auch wieder nicht" , schloss Arnold Stadler.