Presse aktuell 2010


 
BZ vom 8.5.10

Das Schatzkästlein von Hausen

In Johann Peter Hebels Wiesentäler Heimatort ist zum 250. Geburtstag des Dichters ein literarisches Museum von Rang entstanden

Hausen spielt jetzt in der Bundesliga. Von außen hat sich eins der vier ältesten Häuser des Dorfes, in dem der Dichter Johann Peter Hebel die Hälfte seiner kurzen Kindheit verbrachte, nicht verändert. Aber wenn man über die schmale Holzstiege nach innen kommt, darf man staunen über ein kleines Wunder. Der Aufklärer des Volkes hätte es so natürlich nicht formuliert. Das Wunder ist die Verwirklichung eines klugen Konzepts. Also spricht man besser von Verwandlung. Aus einer heimatmusealen Puppenstube ist eine literarische Gedenkstätte ersten Ranges geworden — vergleichbar in Baden-Württemberg nur mit Schillers Geburtshaus in Marbach.

Aus Marbach auch wehte der frische Wind ins Wiesental. Das Deutsche Literaturarchiv, Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten, hat sich des Hebelhauses angenommen. Die Arbeitsstelle heißt Thomas Schmidt. Seit der demnächst habilitierte Literaturwissenschaftler aus Thüringen den Job übernommen hat, erlebt die Dichterdenkmalpflege im Land einen rasanten Aufschwung.

250 000 Euro stecken im neuen Innenleben des blumenumrankten Fachwerkhauses, das man nicht anders als schmuck nennen kann. Mit dem Geld hat man es zunächst: entrümpelt. Die Möbel, die früher Hebels kindliches Dasein simulieren sollten, hatten mit ihm nichts zu tun. Der Webstuhl, an dem sein Vater, ein gelernter Leineweber, angeblich gearbeitet hat, ist jetzt hinter einen transparenten Paravent halb verschwunden. Das enge Haus verströmt eine angenehme Leere — und es ist Platz geschaffen für die Dokumentation von Johann Peter Hebels Wiesentäler Existenz und deren Nachwirkungen bis in die Gegenwart.

Dazu gehört vor allem der seit 1936 in Hausen am 10. Mai, Hebels Geburtstag, verliehene Hebelpreis. Er versammelt illustre Namen: von Robert Minder bis Martin Heidegger, von Elias Canetti bis Carl Jakob Burckhardt, von Albert Schweitzer bis Marie Luise Kaschnitz. In unters Dachgebälk geklemmten Hängevitrinen sind die prominentesten Preisträger ebenso präsent wie jene Heroen der Moderne, die sich auf Hebel berufen haben: Bloch, Benjamin, Brecht, Kafka. Von diesem stammt das Hebels Bescheidenheit gemäße Motto des Hauses: "Sehr gut wäre zeitweilig Hebel" .

Das haben die Hausener immer so gesehen. Weswegen sie viel Wertvolles zusammengetragen haben, das Thomas Schmidt im bunten Sammelsurium des Hauses zum Teil erst entdecken musste: Briefe, Erstausgaben, drei Autografen, aber auch persönliche Dinge wie Hebels Spazierstock und eine Haarlocke, die der Hausarzt ihm abgeschnitten haben soll.

Zu den wertvollsten Funden zählt das Gesangbuch, das Johann Jacob Hebel 1758 während eines Kriegszuges auf Korsika gekauft und seinem Sohn hinterlassen hat. Ihm gebührt ein eigenes gläsernes Schatzkästchen, so wie der Erstausgabe der "Allemannischen Gedichte" , die Hebel 1803 schlagartig berühmt machten. Dieses Werk bildet den Schwerpunkt der Dauerausstellung: Die Gedichte hat Hebel "in dieses Haus adressiert" (Schmidt). Von Karlsruhe aus, wo er mit Anfang Vierzig in Amt und den auch belastenden Würden einer bürgerlichen Existenz angekommen war, phantasierte er sich in der Mundart seines Herkommens in die Kindheitslandschaft zurück — und widmete den Band "meinen Freunden und Verwandten im Wiesental" .

Demgemäß verzeichnet eine große Schautafel die einzelnen Stationen von Hebels Gedicht "Die Wiese" , das mit geografischer Präzision, frei vom flussromantischen Blick der Zeit, dem Lauf des Flüsschens von der Feldbergquelle bis zur Rheinmündung folgt. "Die Wiese" wird im Hebelhaus auch zum akustischen Erlebnis: Gleich drei Sprecher rezitieren auf Knopfdruck die zahlreichen Strophen: Denn die alemannische Mundart ändert sich mit dem Gang der Wiese just in Hausen — wie das Dorf auch ziemlich genau die Trennlinie zwischen katholischem und protestantischem Glauben markiert. Hebel selbst stammte aus einer reformiert-lutherischen Ehe, was ihn wohl dazu prädestinierte, als erster protestantischer Landesbischof die Landeskirche zu vereinen.

Die klassisch klare, zeitlos modern anmutende Gestaltung des Museums stammt vom renommierten Stuttgarter Designer Kurt Ranger, der unter anderem das Uniseum Freiburg, das Stuttgarter Stadtmuseum und die Vandalen-Ausstellung in Karlsruhe gestaltet hat. Nicht zuletzt dank der direkt auf die Wände aufgebrachten Schriftzüge ist alles Biedermeierliche und Folkloristische des Hauses, das Hebels Werk und Wirken zugedeckt hat, wie weggefegt. Nur die Bestandteile der Einrichtung, die für authentisch gelten können, wurden belassen: in der Küche Schüttstein und Herd, in der Wohnstube der Kachelofen und ein Tisch, der aus Hebels Kinderarbeitszeit im Hausener Eisenwerk stammt. An ihm wurde im Betrieb der Lohn ausgezahlt. Doch die Gefahr einer Idyllisierung droht auch hier nicht: Halb sind Tisch und Stühle mit weißen Tüchern verhängt, um sinnlich wahrnehmbar zu machen, dass die nach dem frühen Tod von Vater und Schwester auf Mutter und Sohn geschrumpfte Rumpffamilie Hebel in Hausen nur die Hälfte des Jahres verbrachte: Das Leben im Wiesental war, so Schmidt, geprägt von einer "doppelten Abwesenheit" .

Auf das Untergeschoss ist Hausens Bürgermeister Martin Bühler besonders stolz. Er hat mit Geschick und Leidenschaft Sponsoren gewonnen — der großzügigste war die Wüstenrot-Stiftung mit 30 000 Euro. Auf Betreiben der Gemeinde wurde die Grundfläche des Nachbarhauses mit einbezogen und ein Vortrags- und Ausstellungsraum von stattlicher Größe gewonnen. Zur Einweihung liest morgen um 20 Uhr der neue Hebelpreisträger Arnold Stadler. Hier sind die Hausener Hebel-Devotionalien gebündelt; hier reflektiert sich das Haus selbst. Ein 1841 entstandenes Genrebild von Johann Ludwig Rudolf Durheim zeugt von der Kontinuität einer ganz besonderen Geschichte: Das Hebelhaus sah damals genau so aus wie heute. Doch das Schatzkästlein von Hausen ist erst jetzt aus ihm geworden: Man darf sich im Ort sicher sein, dass es magnetische Kraft entfalten wird — weit über das von Johann Peter Hebel so geliebte Wiesental hinaus.

Bettina Schulte