Presse aktuell 2010


 
Der Sonntag vom 2. Mai 2010

Der bescheidene Karrieremann

250 Jahre JOHANN PETER HEBEL Ein Lebensabriss in Zitaten

> DER SONNTAG widmet Johann PeterHebel eine mehrteilige Serie

Am 10. Mai wird im ganzen Land der 250.Geburtstag von Johann PeterHebel gefeiert. Wir beginnen unsere Serie mit dem Leben Des Markgräfler Dichters, TheologenundPädagogen.

RENÉ ZIPPERLEN    pdf zum Download


1760
Ich bin von armen, aber frommen Eltern geboren, habe die Hälfte meiner Kindheit bald in einem einsamen Dorf, bald in den vornehmen Häusern einer berühmten Stadt zugebracht. Da habe ich früh gelernt arm zu sein und reich zu sein.

Das Dorf: Hausen im Wiesental. Die Stadt: Basel, wo er in der Santehans ni fallor n. 14, das 2te Haus vor dem Schwiebbogen am 10. Mai zur Welt kommt. Ni fallor: So ich nicht irre. Eine Plakette hängt heute am Totentanz 2. Seine Eltern heirateten 1759 in Hauingen – Mischehen von Lutheranern und Reformierten waren in Basel verboten.

1761
Typhus-Epidemie in Basel. Der Vater stirbt im Sommer. Die Mutter erzieht Hebel streng und setzt dank einer Gabe ihres Dienstherrn alles daran, dass er einmal Pfarrer wird. Es wird nie dazu kommen und doch zu viel mehr.

Wenn ich mit meiner Mutter nach Schopfheim, Lörrach oder Basel ging, und es kam ein Schreiber an uns vorüber, so mahnte sie: „Peter, zieh’s Chäppli ra, s’chunnt a Her.“
Die Sommer verbringen Hebels in Hausen, die Winter in Basel.

1766
Besuch der Volksschule in Hausen.

1770
Wechsel an die Lateinschule Schopfheim, im Sommer leben Mutter und Sohn weiter in Basel, ab 1772 ist Hebel am Gymnasium.

Schon als Knabe machte ich Verse. Meine Muster waren das Gesangbuch, später Gellert, Hagedorn, und sogar Klopstock. Verdient sich Geld am Schmelzofen im Hausener Bergwerk: Und’s Wasser ruuscht, der Blosbalg gahrt; / I ha druf hi ne Gulde gspart.

1773
Hebel zu Kost und Logis in Schopfheim. Am 16. Oktober stirbt die Mutter in den Armen des 13-Jährigen auf dem Weg von Brombach nach Steinen. Rudolf Scheurer hat ihr dort ein Denkmal errichtet.

1774
Fahrt mit dem „Pforzheimer Boten“ ab Kalte Herberge nach Karlsruhe.
Johann Peter Hebel, Sohn des früheren Dieners Major Iselin, ist in das Gymnasiumillustre eingetreten.


1777
begegnet Hebel Tobias Günttert, der ein enger Freund wird. Sein Lehrer Obermüller
nimmt Abschied von dem bestveranlagten Jüngling, seinem ehemaligen liebsten Schüler, der nun zur Hochschule geht.
Bekommt einen Lateinpreis in Höhe von 25 Gulden.

1778
Studentenzeit in Erlangen.
Wir können vieler Ding entbehren, / Und dies und jenes nicht begehren, / Doch werden wenig Männer sein/Die Weiber hassen und den Wein.
Eintrag im Stammbuch:
Knaster ist dein Element.

Tabak wird sein Spitzname, Hebel liebt die Pfeife.

1780

Examen. Hebel, so stellt sich heraus, sendet keine der verlangten Arbeiten nach Karlsruhe, wo sich die Mäzene abwenden. Die Zeugnisse hat er offenbar vernichtet. Ebenso fehlen Briefe an Hebel. Wird Hauslehrer in Hertingen.
Uns Kindern ist bei ihm so wohl zumute gewesen. Er hat herzhaft lachen können. Dann ist er wieder still und nachdenklich geworden. (Er) hat uns immer viel erzählt.
Hebel liest Valentin Weigel, der Priester wie Kirche für unnötig erklärt. Der Mensch selbst sei Gottes Kirche.

1783
Hilfslehrer (Präzeptoratsvikar) am Pädagogium in Lörrach. Beklagt sich über Predigtpflichten:
Mich deucht, daß Tage, wie der Samstag ist, Tage der Erholung für den sein sollen, der eine Woche lang in die Schulstube eingesperrt war, Tage, die von ihm und nicht von anderen benutzt werden.

Schlägt große Änderungen im Lehrplan vor, die als „unbotmäßig“ bewertet werden. Entwirft ein modernes pädagogisches Credo:
Erbauung (müsse) nicht in das Herz des Zuhörers als in ein leeres Gefäß hinüber gegossen, sondern aus ihm als einer verschlossenen Quelle heraus gefördert werden.

1787
Hebel versucht sich als Dichter.
Im 28. Jahr, als ich Minnesänger las, versuchte ich den alemannischen Dialekt. Aber es sollte gar nicht gehen.

1788
Hebel wartet ungeduldig auf eine Pfarrstelle.
Eilf Jahre lang, bis in das einunddreißigste meines Lebens, wartetet ich vergeblich auf Amt und Versorgung. Da war es wohl an mir getan, dass mich Gott gelehrt hatte, arm sein und nichts haben.

1789
Beginn des Proteuserkults, einer naturnahen Privatmystik mit den Freunden Hitzig und Günttert, Treffen im Wilden Mann in Proteopolis (Lörrach), der Belchen ist ihr Altar.

1790
Günttert wird Pfarrer in Weil, sein Haus Hebels zweite Heimat. Freundschaft zu dessen Schwägerin Gustave Fecht. Dann folgt der Ruf als Subdiakon in die Residenz nach Karlsruhe. Er stellt sich als Diakon vor und wird scharf zurechtgewiesen. Tut sich lange schwer in der Sandwüste.

1791
Hebel berichtet von seiner Antrittspredigt in Karlsruhe:
Wie sich alles in Thränen badete (...),wie der Marggrav mir ein Patent als Hofdiakonus mit einer Zulage von 200 fl. ins Haus schikte.
Leider ist das charmant geflunkert.

1792
Gehaltserhöhung:
250 Gulden, 20 Malter Dinkel, 10 Malter Korn, 2 Malter Gerste, 10 Ohm (etwa 1 500 Liter) Wein erster, 50 Ohm Wein zweiter Klasse.
Briefepistel an Günttert: erstes bekanntes Mundartgedicht.

1794 Hebel hofft auf Pfarrei in Grenzach. Umsonst. Geht gerne ins Theater:
In der Comödie hab Ich Gott zum ersten Mal für meine 35 Jahre gedankt. Fünfzehn weniger, so hätte ich mich in ein schmuckes Demoisellchen verliebt und vielleicht – erschossen.

1798
Wird zum außerordentlichen Professor der dogmatischen Theologie und hebräischen Sprache ernannt. Nun 20 Ohm (3000 Liter) Wein erster Klasse.

1799
Wird Ehrenmitglied der Mineralogischen Gesellschaft Jena.

1800
Fast willkürlich, doch nicht ganz ohne Veranlassung fing ich im 41sten Jahr wieder an im Dialekt zu dichten.
Hebel veröffentlicht die Erzählung „Der Statthalter von Schopfheim“ mit der Bitte:
Nenn meinen Namen nicht. Ich leugne wie ein Dieb.
Weiterhin sehnt er sich nach dem Land:
O Freund, dass mir noch zwei Wünsche gelängen! Der eine wird mir, so Gott will, gelingen, noch Pfarrer bei einer Landgemeinde zu werden.
Doch der hat andere Pläne mit ihm.

1801
Der dichterische Durchbruch:
Meine Liebhaberei in den Nebenstunden, zur Schadloshaltung für den Ungenuß mancher Geschäftsstunde, hat sich in ein eigenes Fachgeworfen. Ich suche in dieser zerfallenden Ruine der altdeutschen Ursprache noch die Spuren ihres Umrisses und Gefüges auf und gedenke bald eine kleine Sammlung Gedichte in die Welt fliegen zu lassen.

Ein weiterer Schritt in der Kirchenkarriere, nach der er nicht gefragt hat:
Ich bin wie der Blinde zur Ohrfeige zum Auftrag gekommen, den Herderschen Katechismus zum Gebrauch des Landes zu revidieren.

1802
Der Grundstein für seinen literarischen Ruf wird gelegt, wieder nicht aus eigenem Antrieb:
Brauer will mich mit Gewalt zum Schriftsteller machen.
Hebelwird Co-Autor für den Badischen Landkalender.
Wegen seltenere(r) Gabe, das Volk auf eine angenehme und faßliche Art zu belehren, in einem vorzüglichen Grade. Hebel sieht Titel und Inhalt als treuherzige Warnung: Kaufe mich nicht, ich gehe dich nichts an. Treibt Grundsatzreform des Kalenders voran, um ihn den beliebten ausländischen gleich und vor zu setzen.
Mit Erfolg.

1803
Die
Alemannischen Gedichte erscheinen.
Ich kann in günstigen Momenten inwendig in mir unbändig stolz werden, und mich zur Trunkenheit glücklich fühlen, dass es mir gelungen ist, unsere sonst so verachtete und lächerlich gemachte Sprache classisch zu machen.
Johann Georg Jacobi in Freiburg schreibt die erste Rezension der Alemannischen Gedichte
und dass der Verfasser zu seinen Gesängen sich der reichhaltigen körnichten Sprache seiner väterlichen Gegend bedient.
Später schreibt Goethe, Hebel habe auf naivste, anmutigste Weise, durchaus das Universum verbauert, also in einfache, allen zugängliche Sprache gebracht. Spätere Illustrationen kritisiert Hebel als viel zu edel. Der Markgraf bestellt Hebel zur Rezitation der Gedichte ein.

1804
Gehaltserhöhung,
d
ennoch sei mit der Besoldung einmal ohne Schulden nimmer auszukommen, wenn man nicht neben her etwas praktiziert, und vor Schulden bewahre mich der Himmel. Am Karlsruher Stammtisch ist das Charadenwesen zur Sucht geworden:
Über Jahre erfindet Hebel täglich Rätsel und Wortspiele.

Zieht um.

Hoffe ietzt nur noch einmal ausziehn, entweder auf eine Pfarrey, oder auf den Gottesacker.

Beginnt ausführliche Gesundheitsberichte an Gustave Fecht.
Ich hatte Catthar, der ward zum Schnuppen, detaschirte zur Abwechslung bisweilen in die Ohren.
Arbeitet vergeblich an Gedichten:
Ich habe nach und nach ein 2tes Bändchen vonA.G. zusammenstoppeln wollen. Aber dieser heilige Geist, der mich damals umschwebte, will nimmer über mich kommen. Und später: Ach, dieser Beyfall hat mich zur Fortsetzung nicht ermuntert, sondern verzagt gemacht.

1806
Hebel könnte endlich Pfarrer werden: für die Stadt Freiburg. Doch:
Ist mir so etwas an der Wiege gesungen worden? Sie können denken, wie viel ich in beide Wagschalen zu legen habe, wie es an mir zieht, und zurückhält.
Er reist um Weihnachten dorthin, tritt die Stelle aber nicht an. Die Gründe bleiben rätselhaft.
Unter anderm wills der Großherzog haben, was mir sehr lieb ist, damit ich nicht selbst wählen darf.

1807
Wird alleiniger Herausgeber des Rheinischen Hausfreunds, aus dem später das „Schatzkästlein“ hervorgeht. Wegen seiner enormen Verbreitung soll Hebel nach manchen Quellen meistgelesener deutscher Autor mit einer halben Million Leser gewesen sein.

1808
Wird Direktor des Gymnasiums. Hebel trifft die Schauspielerin Henriette Hendel in Karlsruhe, mit der er auch gemeinsam bei Auftritten eigene Gedichte liest.
Im Grund ist es mein Glück, dass sie am Sonntag wieder fortgeht, und dass ich sie morgen zum lezten mal sehe, eh’ ich mich in sie vernarre. Doch ist er das nicht längst? So sehr, dass ich seit 4. Wochen, so lang M. Hendel hier war vor lauter blauen Wundern und ästhetischem Schlaraffenland nicht habe schreiben können.

1809
Und wenn irgendwo Arbeit von einer Betglocke bis zur andern, falls man leben will, Bedingung ist, so sind daran nur fehlerhafte Staatsverfassungen und Staatsverwaltungen (...) und erkünstelte Bedürfnisse Schuld.

Sein Leben lang klagt Hebel über zu viel Arbeit.

1810
Uhland zu Besuch:
Hebel sei
so einfach, so herzlich, bieder und doch mit schelmischer, aber gutmütiger Laune. Hebel gerne im Casino: In Baden-Baden trieb ich noch fünf Tage lang das große Spiel.

1811
Das „Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreunds“ erscheint. Goethe erbittet es zum Geschenk.

1812
Beginnende Stimmungsschwankungen.
Das Leben ist Mir ganz völlig verleidet. Brief in die Heimat: Heimlich mutterndes und bruttlendes Heimweh. Wichtiger Traum: Ich besorgte immer, Christus möchte mir ansehen, dass ich nicht kauscher im Glauben sei.
Hebel weicht immer wieder deutlich von der geltenden Lehrmeinung ab.

1814
Legt sein Amt als Gymnasialdirektor nieder, bleibt aber weiter Lehrer. Jakob Grimm zu Besuch bei
Hebel, der etwa so aussieht, wie er aussehen muss.

1815
Goethe zu Besuch.
Den 6. dieses Monats befand ich mich noch in Carlsruh. Hebel ist ein ganz trefflicher Mann.
Er lässt sich aus den „Alemannischen Gedichten“ vortragen. Hebels Erzählung „Der fromme Rat“ führt zur Beschwerde der katholischen Kirche, der Kalender 1815 wird eingezogen, die Erzählung getilgt. Hebel legt die Redaktion nieder.

1816
Letzter Heimatbesuch.

1817
Henriette Hendel-Schütz gastiert zum letzten Mal in Karlsruhe.
Seit Sie uns verlassen haben, ist mir halb Carlsruhe ausgestorben. Wenn ich klug wäre, müsste ich die Post meiden, aber ich will lieber thöricht seyn, kommen Sie nur bald wieder.

1818
Beginnt die „Biblischen Erzählungen“, erscheinen 1824, 1825 in katholischer Fassung.

Ich habe bei fast jeder Zeile im Geist oberländische Kinder belauscht.

1819
Hebel wird erster Prälat der neuen Landeskirche, die Lutheraner und Reformierte vereint. Außerdem Abgeordneter.

Ich bin zuletzt mit einer in unserer vaterländischen Kirche noch nie erhörten Würde geehrt worden und mit Fürsten im Rath gesessen.

1821
Ich bin seit zwei Jahren nimmer echt gesund, nie heiter, fast immer trübsinnig, verdrossen zu allem, was ich thun soll, selbst was ich sonst mit Liebe und Freude that.

1823
Trotz Karriere und hohen Würden:
Wenn nur das große Loos einmal käme, daß ich mir in Hausen ein Häuslein bauen und alle Wochen mit meinen Schimmeln nach Weil fahren könnte. Im Winter wohnte ich in Basel, und käme alle Tag wie der alte Knabe im Schlaf.

1824
Verliert 5000 Gulden, die Hälfte seines Vermögens, wegen Bankrott seines Bankiers.
Der arme Mann dauert mich.

1826
September: Fahrt nach Schwetzingen. Klagt über Schmerzen im Bauch. 21. September.
Heute habe ich die ersten Todesgedanken gehabt, aber wirklich, sie haben mich nicht erschreckt.
Schickt den Krankenwärter ins Bett. Am andern Tag geht Nachricht nach Karlsruhe:
Herr Praelat Hebel heute Morgen 3 1/2 Uhr auf einem Besuch Bei Herrn Grafen Director Zeyher in Schwetzingen gestorben. Man diagnostiziert eine langjährige krankhafte Verbildung in den Eingeweiden.
Womöglich Darmkrebs.

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