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Presse aktuell 2010
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BZ vom 30.04.2010
Die Verteidigung des Nutzlosen
Vor der Premiere: Vaclav Spirit inszeniert für
den Burghof den "neuen Hebel" - eine Revue, die
dessen Alltagstauglichkeit prüft
"Armer Hebel!"
hieß es 2006. Damals versuchten Vaclav Spirit
und Anne Ehmke in einer Mischung aus
Musiktheater und Lesung das mitunter von
biederer Heimattümelei bestimmte Bild von Johann
Peter Hebel zu zerkratzen. Zum Hebel-Jubiläum
schlagen der vor Jahrzehnten aus der damaligen
Tschechoslowakei geflohene Regisseur und die
Lörracher Musikerin und Komponistin nun ein
weiteres Kapitel ihrer Hebel-Entstaubung auf.
Zusammen mit der Choreografin Pilar Buira Ferre
und einem Ensemble aktueller und früherer
Mitglieder von Tempus fugit um Theaterleiterin
Karin Maaßen inszenieren sie als
Burghof-Produktion und im Rahmen des
baden-württembergischen Literatursommers "Der
neue Hebel" .
Gibt es aber überhaupt Neues zu entdecken bei
einem Autor, der vor 250 Jahren geboren wurde
und seit Jahrzehnten erforscht wird, dessen
Texte bis heute in Schulbüchern zu finden sind
und der nach wie vor zum Kanon schulischer
Pflichtlektüre gehört? Natürlich gebe es da bei
Hebel nichts wirklich Neues zu finden, räumt
Vaclav Spirit freimütig ein. Der Titel soll denn
auch vor allem signalisieren, dass der "neue"
nicht einfach ein aufgewärmter "armer Hebel"
ist. Dieser mühte sich vor allem um eine
Rehabilitation des Autors, wollte den zum
Denkmal verklärten "badischen Nationaldichter"
gegen diese Form der Vereinnahmung verteidigen;
nun aber drehen Spirit & Co das Rad ihrer
Hebel-Rezeption weiter: Das neue Stück will
nicht mehr und weniger sein als die
theatralische Überprüfung von Hebels aktueller
Alltagstauglichkeit.
Die aber sehen der Regisseur und sein Team
allemal gegeben. Schließlich sei der
"Dichter-Pfarrer" nicht nur ein "guter Pädagoge"
gewesen, findet Spirit, sondern ein vielfältiger
Geist, der sehr menschliche Züge kultiviert
habe, rauchte, Wein trank und als "Theologe wie
ein Astrologe geschrieben hat" (Spirit). Zudem
sind diese Texte Meisterwerke des adressierten
Schreibens. Hebel achtete wie wenige auf
Verständlichkeit, schaute dem "Volk aufs Maul"
und verpackte seine Botschaften in kleine,
verständliche Formen wie die
"Kalendergeschichten" . Darüber hinaus griff er
die Defizite der zu seinen Lebzeiten
einsetzenden Modernisierung auf, verteidigte die
Reste eines "nutzlosen" , von sinnlichem Genuss
geprägten Lebens gegen dessen alleinige
Bewertung aus der Perspektive von Effizienz und
Zweckmäßigkeit. Und er war ein "humorvoller
Zeitgenosse" , urteilt Spirit.
All diese Aspekte will der "neue Hebel"
herausarbeiten und zwar mit "spielerischem
Zugriff" (Karin Maaßen), in Form einer Revue,
als lose Verknüpfung von Episoden und Anekdoten
aus unterschiedlichsten Werken und als
interdisziplinäre Collage verschiedener Formen -
von Tanz und Choreografie (Pilar Buira Ferre)
über Musik (Anne Ehmke, Daniel Vogel, Hennes
Neuert) bis zu Schauspiel und Kabarett (Tempus
fugit). Hebel selbst tritt übrigens nicht auf,
sondern schwebt als Hebelgeist (Matthias Meier)
durch die Szenen. Schließlich ist auch ein Quiz
eingebaut, das an heute übliche TV-Formate
anknüpft. Es eröffnet dem Publikum die Chance,
sein Hebelwissen zu überprüfen und gibt der
Inszenierung besondere Spannung. Schließlich
"reagiert jedes Publikum anders" , weiß Spirit -
und manches vielleicht gar nicht. Aber auch für
den Fall ist vorgesorgt.
Michael Baas
Premiere:
Mittwoch 5. Mai, 20 Uhr. Weitere Termine 6., 8.
und 9. Mai, 20 Uhr, 7. Mai, 10 Uhr
(Schulvorführung) und 23.30 Uhr jeweils auf der
Hinterbühne im Burghof Lörrach. Vorverkauf:
unter anderem BZ-Geschäftsstellen
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