Presse aktuell 2010


 
BZ vom 7.4.2010

Des Dichters Widerpart

Plakat zum Hebel-Jahr

Mahnend hebt der Dichter (oder ist’s eher der Pfarrer im Dichter?) den Zeigefinger, während das gleichermaßen unbedarfte wie tugendhafte Fräulein vom Lande andächtig zuhört. Was der gesetzte Herr zu sagen hat, wird bei der jungen Frau sicher auf fruchtbaren Boden fallen. Darauf deutet zumindest das artig gehaltene Gebetsbuch hin. So malte Carl Agricola 1814 das Bild mit dem Titel "J.P. Hebel und Markgräflerin". Die Darstellung, von der verschiedene Versionen mit verschiedenen Kirchen im Hintergrund existieren, ist unter Hebel-Freunden bekannt. Sie erkennen im Markgräfler Trachtenmädchen unschwer das "Vreneli" , jene Kunstfigur, die sich als typische Frau durch Hebels Werk zieht. Auf den Bekanntheitsgrad dieser Darstellung und auf das im "Vreneli" verborgene Frauenbild setzt das Lörracher Museum am Burghof bei seinem Ausstellungsplakat zum Hebel-Jahr. Denn das Plakat unterläuft das Original und damit auch seine traditionelle Botschaft. Denn nicht ein scheues Wesen mit sittsam gesenkten Lidern hört sich auf dem Plakat des Dichters Litanei an, sondern eine selbstbewusst auftretende, vielleicht sogar widersprechende Frau tritt dort in einen Dialog mit Hebel. Damit, so begründet Museumsleiter Möhring, wolle man zeigen, dass Hebel auch modernen Menschen etwas zu sagen hat. Mal sehen, was nach dem Hebel-Jahr stärker in Erinnerung bleiben wird: Der Dichter mit seiner Moral oder die zeitgemäße Zuhörerin.

Willi Adam