Presse aktuell 2010


 
BZ vom 19.3.10

Die Suche des Übersetzers nach dem treffenden Wort

Cum tempore: John Hibberd, der Hebel ins Englische übertrug

LÖRRACH. Die Arbeit des Literaturübersetzers ist schwierig, langwierig und schlecht bezahlt. Was also bringt den Übersetzer zum Übersetzen? Auch für die letzte Veranstaltung aus der diesjährigen Vortragsreihe "Cum tempore" , die sich im Hebel-Jahr 2010 ganz dem Dichter Johann Peter Hebel widmet, konnte das Hebel-Gymnasium einen prominenten Referenten gewinnen: Der Brite John Hibberd lehrt am Germanistischen Institut der Universität Bristol, im Jahr 1994 ist seine Übersetzung von Johann Peter Hebels "Schatzkästlein" beim Libris-Verlag in Großbritannien erschienen. Im Hebel sprach er am Dienstag in seinem Vortrag "Wie der Hausfreund eine andere Sprache spricht" über die Gewinne und Verluste einer Hebel-Übersetzung.

Warum sich ein renommierter Literaturwissenschaftler wie Hibberd die Mühe einer Übersetzung antut, wurde in seinem Vortrag schnell klar: Der britische Kenner der deutschen Literatur aus dem 18. bis 20. Jahrhundert hat nicht nur zu großen Autoren wie Franz Kafka und Frank Wedekind geforscht und publiziert, sondern ist auch leidenschaftlicher Hebel-Leser und -Kenner. Um dem im angelsächsischen Raum weniger bekannten Hebel "einen Gefallen zu tun" , entschieden sich Hibberd und sein Verleger für die Übertragung des Großteils der im "Schatzkästlein" versammelten Geschichten ins Englische. Dass die Übersetzung mit dem Titel "The Treasure Chest" kein Beststeller werden würde, waren Verlag und Übersetzer klar, so Hibberd ironisch. Dennoch habe er alles daran gesetzt, eine Übertragung der Texte anzufertigen, die eine weltweite Leserschaft erreichen könnte und dennoch "nicht nach Übersetzung roch" .

Was es heißt, wenn eine Übersetzung nach Übersetzung riecht, wie überhaupt die Arbeit des Übersetzers aussieht und wie diffizil die Übertragung eines Textes in eine andere Sprache sein kann, ist nicht allen Lesern bewusst. Am meisten Licht auf diese Arbeit werfen, so John Hibberd, die "kleinen Schwierigkeiten" , die sich beim Übertragen in eine andere Sprache ergeben. Die Entscheidung für die beste englischsprachige Übersetzung für von Hebel häufig verwendete Wörter wie "Hausfreund" und "Wirtshaus" dauerten oft Tage, so Hibberd. Selbst Hebels einfache und immer wieder verwendete Aufforderung "Merke!" mache Probleme in der Übertragung: Dem Englischen des 18. Jahrhunderts am nächsten wäre "Mark this!" , klänge für eine heutige Übersetzung aber völlig veraltet, so Hibberd. Die in unserer Zeit gängige Formulierung "Remember this!" schien dem Germanisten zu lang und so habe er sich schlussendlich für das simple "Remember!" entschieden.

Die Übersetzung ist zwar tatsächlich kein Bestseller geworden, hat sich aber bis zur britischen BBC herumgesprochen: Der Radiosender mit der weltweit größten Hörspieltradition hat gleich drei von Hibberd übersetzte Hebel-Texte als Hörstück produziert; Schauspieler war kein Geringerer als der Brite Mark Williams, der in fünf Harry-Potter-Filmen die Rolle des Arthur Weasley spielte. Der starke Birminghamer Akzent des Schauspielers entspreche hier dem ländlichen Ursprung der Hebel-Texte, so Hibberd, der sich sicher ist: "Der englische Hebel ist ein Hebel in anderer Tracht" und erreiche ebenso wie der deutsche den Leser sowohl über den Verstand als auch über das Herz.

Ein gelungener Abschluss der von den Freunden des Hebel-Gymnasiums finanzierten Cum-tempore-Reihe 2010, der nicht nur ebenso ironisch wie ernsthaft in die Arbeit des Übersetzers einführte, sondern auch neue Aspekte der Hebel-Lektüre aufzeigte.


Claudia Gabler