Presse aktuell 2010


 
Die Oberbadische vom 12.3.10

Mit Johann Peter Hebel nachts durchs Wiesental

Markus Manfred Jung sprach über das Gedicht „Die Vergänglichkeit“

Steinen (zet). Zwei verkohlte Türme. Dazwischen alles ausgebrannt. Aber Johann Peter Hebel hat nicht das Schicksal des World Trade Centers vorhergesehen, sondern bei seiner Vision des Weltuntergangs an Belchen und Blauen gedacht. Im Gedicht „Die Vergänglichkeit“ beschrieb er die Apokalypse im Wiesental. Das Werk stand im Mittelpunkt der ersten von mehreren Veranstaltungen der VHS Steinen zu Hebels Geburt vor 250 Jahren.

Rund 50 Zuhörer waren am Freitag in die Grundschule gekommen, um Markus Manfred Jungs (alemannische) Interpretation eines der bekanntesten alemannischen Gedichte Hebels zu hören. Um Verständnisproblemen vorzubeugen, war der Text auch in hochdeutscher Übersetzung verteilt worden.

Denn selbst dem alemannischen „Muettersprochler“ sind nicht mehr alle Begriffe aus Hebels Sprachschatz auf Anhieb geläufig, wie sich zeigte. „Gespräch auf der Straße nach Basel zwischen Steinen und Brombach, in der Nacht“, so lautet der Untertitel der Ballade. Wer Hebels Biografie kennt, weiß, dass es an dieser Stelle nicht um liebliche Landschaftsbeschreibungen gehen kann. Zwischen Brombach und Steinen war seine Mutter im Jahr 1773 auf einemOchsenkarren verstorben. Hebel war 13 Jahre alt.

Im Gedicht sitzen nun Vater und Sohn auf dem Ochsenkarren. Schaurig berührt vom Anblick der Röttler Burgruine stellt der Sohn seinem „Aetti“ die Frage, ob ihr eigenes Haus auch einmal derart verfallen würde. Der Vater nimmt dies zum Anlass für eine so drastische Beschreibung von Sterben und Weltuntergang, dass sich heutigen Pädagogen die Haare sträuben. Menschen sind ebenso hinfällig wie alles von ihnen Geschaffene, erzählt er. Wohin man auch gehe, man wandle dem Friedhof zu. Im Jahr 2000 werde gar alles zusammengestürzt sein, „s’Dörfli sinkt no selber in si Grab“, sogar das prächtige Basel gehe unter. Dann sei „alles öd und schwarz und todtestill, so wit me luegt.“

Während der Vater erzählt, wird es auch ringsum dämonischer. An Goethes „Erlkönig“ erinnert die Brückenszene, in der selbst der Ochse angsterfüllt schnauft und Vater und Sohn aus Furcht vor dem „wilden Jäger“ leiser sprechen. Laut Jung ist dies Höhepunkt und Zentrum des klassisch aufgebauten Gedichts: „Jetzt hat das Kind den Tod verstanden“.

Dem Untergangsszenario lässt der Vater allerdings Auferstehungsvisionen folgen. Es sind tröstende und verheißungsvolle Bilder, so Jung. Oder wer wollte nicht, wie es dem Kind ausgemalt wird, dereinst die Milchstraße hinauf fahren und sich in der verborgenen Stadt umschauen?

Jung machte aber auch auf die sprachlichen Schönheiten und die offen gebliebenen Geheimnisse des Gedichts aufmerksam. Was zum Beispiel meinte Hebel, als er sagte: „Und sin bis dörthi d’Lüt so närsch wie iez, se göhn au Gspenster um“. Und was für ein Gespenst ist dieser „Lippi Läppeli“, der bei Hebel immer mal wieder auftaucht?

Vielleicht wird ja das ein oder andere Rätsel in diesem Jahr noch gelöst. Schließlich widmet man sich Hebel jetzt „landauf, landab“, wie Steinens Bürgermeister Rainer König eingangs feststellte. Zuvor hatte übrigens die „Saxofonmafia“ der Musikschule für eine gelungene musikalische Einstimmung gesorgt.