Presse aktuell 2012


BZ vom 10.11.12

Die Geschichten eines Dämmerungsläufers

Der Schweizer Schriftsteller Markus Ramseier in den "Literarischen Begegnungen" des Hebelbundes im Dreiländermuseum

LÖRRACH. Bei der letzten Lesung der Reihe "Literarischer Begegnungen" des Hebelbundes im Dreiländermuseum wurden die wenigen Besucher, die trotz des strömenden Regens gekommen waren, mit einem feinsinnigen, hochkarätigen Leseerlebnis belohnt. Der Schweizer Schriftsteller und Hebeldankträger Markus Ramseier ist weit entfernt davon, ein heimattümelnder Mundartschriftsteller zu sein, vielmehr sucht er in seinen Geschichten nach den Geheimnissen, Sonderbarkeiten und Brüchen der vertrauten Alltäglichkeit und versteht sie sowohl in der Hochsprache als auch im Dialekt literarisch eindringlich umzusetzen.

Volker Habermaier, Vizepräsident des Hebelbundes, würdigte einleitend Ramseiers Fähigkeiten, in beiden "Sprachen" zuhause zu sein, ja vielleicht sogar in der Mundart besonders die Bereiche Freiheit und Anarchie besser ausdrücken zu können, die seine Arbeiten charakterisieren. Ramseier, 1955 in Pratteln geboren, studierte Germanistik, Anglistik und Romanistik in Basel und gab 1994 seinen ersten Roman "Meandertal" heraus.

Ramseier hatte das Glück, so erzählt er, zu den Kurzgeschichten aus dem Buch "Licht" , in der ersten Klasse eine Lehrerin zu haben, die ihm Zeit gab, Wörter zu finden — die Gewährung der Langsamkeit.

In seinen Kurzgeschichten geht es um alltägliche Beobachtungen, denen er durch eine poetische Sprache Bedeutung gibt: dem Blick eines Obdachlosen, dem Schatten auf dem Kleid einer Frau, wenn die Nachbarin Betten lüftet. Ramseier will mit seinen Geschichten "Situationen einfrieren und die Lebenslogik aufblitzen lassen" . Dies gelingt dem Schriftsteller auch in seinen Waldgeschichten, die der passionierte Läufer beim täglichen Dämmerungslaufen erlebt und in verblüffende Geschichten umsetzt. Die Begegnung etwa mit einem Bussard, der Ramseier verfolgt und angreift, oder der Dachs, der mit ihm um die Wette läuft, und schließlich die Wildschweine, denen seine ganze Sympathie gehört, ob der Fähigkeit, "sich unsichtbar zu machen und die Jäger zu überlisten" . Verschmitzt kann sich Ramseier dann über den Sieg der Tiere freuen.

Im nächsten Frühjahr wird Ramseiers neuester Roman "Vogelheu" erscheinen, aus dem er eine Kostprobe gab. Vogelheu, eigentlich eine traditionelle alemannische Mehlspeise aus Eiern, Äpfeln, altem Brot und Milch, greift das Thema Wellness auf. Protagonist ist ein eigenwilliger Verlierertyp, Großvater Schneck, der seinen jahrhundertealten Rebberg wegen des Baus eines Wellnesshotels verlieren soll. In dem Roman fragt Ramseier: Wo findet der heutige Mensch das Paradies: im Wellnesstempel oder im alten Rebhäuschen des Weinbergs auf dem Gewann "Paradies" ? Der dramatische Anfang des Romans mit einem Brand und der Verletzung des Großvaters macht neugierig auf das Buch aus dem Haymon Verlag.

Die Lesung endet mit einem humorvollen, amüsanten Duktus zur allgemeinen Rosamunde-Pilcher-Rezeption, zu der Ramseier schließlich gesteht, am Ende auch eine Träne zu verdrücken.

Einen Ausblick auf die "Literarischen Begegnungen" 2013 gab Volker Habermeier zum Schluss: Uli Führe wird seine neue Hebel-CD vorstellen, des Weiteren hat der Hebelbund Markus Manfred Jung, Erwin Messmer und Arnold Stadler zu Gast.

Gabriele Reinhardt